TV-Tipp des Tages: "Mein alter Freund Fritz" (3sat)
Das ist schon eine verrückte Geschichte. Ein erfolgreicher Arzt, der offenbar Selbstgespräche führt, aber nicht etwa seinen Job verliert, sondern als Vorbild gefeiert wird: viel zu schön, um wahr zu sein.
14.12.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Mein alter Freund Fritz", 14. Dezember, 20.15 Uhr auf 3sat

Und in der Tat hat dieser Film von Dieter Wedel märchenhafte Züge. Erzählt aber wird die Handlung zunächst wie ein Doku-Drama: Zu Beginn erinnern sich Ärzte und Schwestern, wie alles begann, damals, als Chirurg Harry Seidel (Ulrich Tukur) den Posten des ärztlichen Direktors seiner Klinik fast schon sicher hatte. Nach einem Autounfall war Seidel jedoch wie verwandelt, stritt sich ständig mit einem unsichtbaren Begleiter und war drauf und dran, seine komplette Karriere aufs Spiel zu setzen.

Für Wedelsche Verhältnisse ist „Mein alter Freund Fritz“ ein fast schon bescheidenes Werk. Dafür hat es eine unübersehbare Botschaft: Der Film bietet eine schonungslose Analyse unseres Gesundheitssystems, das Klinikärzte unter immer größeren Zeitdruck setzt; auf Kosten der Patienten natürlich. Schon vor dem Unfall werden Medizin und Verwaltung als unversöhnlich geschildert: Der intrigante, stets schwarz gewandete Verwaltungsdirektor (Uwe Bohm fast als Karikatur des Karrieristen) steht für Stellenabbau und kürzest mögliche Liegezeiten. Seidel ist zwar sein Antagonist, hat sich aber auch angepasst – bis zu dem Unfall.

Man kann die Erscheinung des Studienfreunds Fritz (Maximilian Brückner) getrost als Inkarnation von Seidels schlechtem Gewissen deuten, schließlich gibt es noch eine offene Rechnung zwischen den beiden. Wedel präsentiert Fritz als Gesandten, der Seidel ins Jenseits geleiten soll. Der will aber noch nicht abtreten und zieht den vor gut zwanzig Jahren verstorbenen Freund ins Diesseits, wo nur er ihn sehen kann. Allerdings wird die Geschichte nun nicht zur Klamotte. Wedel vermeidet sogar den Wandel zur Komödie im Stile von „Mein Freund Harvey“ und beschränkt sich auf humoristische Momente, zumal Seidel verständlicherweise fürchtet, er verliere den Verstand; von den Bemerkungen der Kollegen ganz zu schweigen. Trotzdem bekommt der Film ein völlig neues Gesicht: Die Einstellungen sind deutlich länger, die Kamerabewegungen (Edward Klosinski) sanfter, die Schnittfrequenz ist kürzer. Das passt, denn auch Harry Seidel wird ein anderer, widersetzt sich dank der Mahnungen seines himmlischen Begleiters der klinischen Hektik und kümmert sich in angemessener Muße um seine Patienten. In diesen Momenten wird auch die Botschaft deutlich. Wo Seidel zuvor bloß Floskeln streute ("Wird schon!"), da nimmt er sich nun Zeit für einen Sterbenden und verhilft einem alten Mann mit sanftem Druck auf dessen Sohn sogar zum Seelenfrieden.

Das mag in der Schilderung plakativ klingen, ist es in der Umsetzung aber gar nicht; und das liegt vor allem an Ulrich Tukurs Interpretation der Rolle. Seidel hat dank seiner säkularen Gesinnung zunächst gar keine Probleme mit dem modernen medizinischen System. Kommen Gott und der Tod ins Spiel, reagiert er mit dem immergleichen Kommentar, er habe schon "20.000 Menschen aufgeschnitten. So was wie eine Seele hab’ ich nie gefunden". Da sich die Existenz von Fritz nicht leugnen lässt, muss Seidel auch einige andere Grundhaltungen überdenken; zur großen Freude seiner Frau übrigens (Veronica Ferres, sehr präsent und treffend besetzt), denn die Ehe war zuvor eigentlich am Ende. Selbst wenn der Geisterfreund einen gewissen Hang zur Bosheit hat und sich nicht mal dann diskret entfernt, als Herr und Frau Seidel ihre neu entdeckte Leidenschaft ausleben wollen: Seine Anwesenheit wirkt sich ohne Frage positiv aus.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).