Je weniger Religion, desto mehr "Weihnachten"?
"Weihnachten hat an Bedeutung gewonnen, je mehr es seinen religiösen Gehalt verloren hat", sagt der Bonner Volkskundler Helmut Groschwitz. Das gilt für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von der Spätantike bis zur Neuzeit war Weihnachten dagegen ein durch und durch christliches Fest. Die Bräuche stammen nicht, wie weithin vermutet, aus heidnischen Traditionen.
13.12.2010
Von Anne Kampf

Weihnachten habe sich von einem christlichen zu einem jahreszeitlichen Fest entwickelt, sagt auch der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder aus Regensburg. Heute gehe es bei dem entsakralisierten Fest vor allem um Kommerz und Dekoration. Die Menschen bräuchten Kerzen und symbolische Wärme, weil es draußen kalt und dunkel ist. Den Lichterglanz und die Menschenmassen in den Kaufhäusern erklärt er mit unserem Wirtschaftssystem: "Kapitalismus verpflichtet zum Konsum", so Hirschfelder.

Die Kultur befindet sich in einem ständigen Wandel, die Feste werden immer wieder anders gefeiert: zu Weihnachten gehören heute viele Geschenke, gutes Essen und auffällige Dekoration. Mit der Geburt Jesu Christi hat das vordergründig wenig zu tun. Trotzdem, so Hirschfelder, lasse sich Weihnachten für die Kirche als Chance begreifen, der Sehnsucht der Menschen nach tragfähigen Inhalten zu begegnen. Und immerhin: Viele Weihnachtsbräuche sind tatsächlich christliche Erfindungen.  

Der 25. Dezember

Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Weihnachtsdatum aus Festen anderer Kulturen herzuleiten: Gefeiert wurden die Wintersonnenwende und das jüdische Chanukka-Fest. Außerdem war der 25. Dezember dem persischen Lichtgott Mithras geweiht, und die Römer feierten das Sonnenfest "Sol Invictus". Die Bibel nennt kein Geburtsdatum für Jesus. Das Datum des Weihnachtsfest wurde im frühen Christentum theologisch-heilsgeschichtlich konstruiert: Man ging von Mariä Empfängnis am 25. März aus, brachte dieses Datum mit dem Frühlingsanfang und der Weltschöpfung in Verbindung, rechnete neun Monate hinzu und kam auf den 25. Dezember.

Heidnischen Bräuchen wie dem römischen Sonnenfest und dem persischen Mithraskult an diesem Tag konnten die Christen ab Mitte des 4. Jahrhundert bewusst das Fest der Geburt Jesu als Alternative entgegen setzen. Eine Anlehnung an das germanische Sonnenwendfest ist unwahrscheinlich, weil die meisten Christen in den ersten Jahrhunderten im Einflussbereich des römischen Imperiums lebten und zu germanischen Bräuchen keinen Bezug hatten. Gunther Hirschfelder betont: "In Weihnachten steckten keine verborgenen Reste einer vorchristlichen heidnischen Kultur".

[listbox:title=Literatur und Links zum Thema[Buch: Michael Kotsch: Weihnachten. Sinn und Unsinn von Weihnachtsbräuchen, Hammerbrücke / Muldenhammer, Jota 2003 ## Buch: Michael Kotsch: Weihnachtsbräuche … und was sie bedeuten, Dillenburg, Christliche Verlagsgesellschaft 2007##Die Aktion "Advent ist im Dezember" der EKD##Das Weihnachts-ABC von Georg Klein auf evangelisch.de]]

Der Weihnachtsbaum

Zwar hängten schon die Germanen zur Wintersonnenwende in ihren Häusern immergrüne Zweige auf, um durch deren "magische Kraft" Dämonen, Hexen, Krankheit und Blitz fernzuhalten, und auch der persische Gott Mithras wurde mit einem geschmückten Baum verehrt - dennoch sind sich die Wissenschaftler weitgehend enig, dass sich der neuzeitliche Weihnachtsbaum daraus nicht ableiten lässt. Er ist offenbar tatsächlich eine spätere christliche Erfindung: Im Mittelalter gab es zu Weihnachten den Brauch der Paradies- und Weihnachtsspiele. Die Spieler trugen ein Bäumchen, das auf einer Seite mit Äpfeln, auf der anderen Seite mit Leidenssymbolen wie Dornenkrone und Nägeln behangen war. Die Äpfel standen für die Versuchung im Paradies, die Kreuzessymbole für die Erlösung durch Jesus Christus. Mancherorts hängte man auch hölzerne Figuren von Adam, Eva und der Schlange an den Weihnachtsbaum.

Der Theologe und Autor Michael Kotsch berichtet von der ersten Erwähnung eines weihnachtlichen Tannenbaums im Jahr 1419: "Ein Bäckergeselle aus Freiburg schmückt seine Tanne als biblischen Paradiesesbaum mit Äpfeln, Birnen, Nüssen, Gebäck und Flittergold." Im 18. und frühen 19. Jahrhundert verbreitete sich der Weihnachtsbaum im städtischen, großbürgerlichen, protestantischen Milieu, in dem die Familie bei der Feier des Weihnachtsfestes einen hohen Stellenwert hatte.

Der Weihnachtsmarkt

Märkte im Winter, auf denen sich die Menschen zum Beispiel mit warmer Kleidung eindeckten, waren im Mittelalter selbstverständlich. Der Weihnachtsmarkt als "Verkaufsmesse für Weihnachtsdekorationen und Kindergeschenke" (Michael Kotsch) kann allerdings als protestantische Erfindung angesehen werden: Martin Luther etablierte im 16. Jahrhundert als Gegenstück zum katholischen Nikolaus das Christkind, das die Kinder zu Weihnachten beschenkte. Darüber hinaus erhielt das Gesinde in der Neuzeit üblicherweise einen "Weihnachtspfennig" zum Jahresende.

Die Menschen hatten also zu Weihnachten einen mehr und mehr erhöhten Konsumbedarf. Im 19. Jahrhundert wurden die Weihnachtsmärkte in Deutschland zu Absatzorten der aufblühenden Spielzeuginsdustrie, vor allem aus dem Erzgebirge. Durch die heutigen Alternativen beim Geschenke-Einkauf in Kaufhäusern und im Internet haben sich Weihnachtsmärkte zu atmosphärischen Treffpunkten und Orten der Verköstigung entwickelt. 


 Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.