Einmal - als die Kameras nicht auf ihn gerichtet sind, als er nicht im Scheinwerferlicht steht - atmet Thomas Gottschalk ganz tief durch. Nur wenige Sekunden sind es, dann hat er sich wieder im Griff. Dieser Moment ist einer von sehr wenigen, in denen der Moderator sich anmerken lässt, dass er einen der schwersten Auftritte seiner langen Karriere absolviert.
Am Freitagabend stand Gottschalk zum ersten Mal wieder vor der Kamera, nachdem der schreckliche Unfall von Samuel Koch bei "Wetten, dass..?" vor einer Woche die Fernsehnation schockierte. Er moderierte die Aufzeichnung des ZDF-Jahresrückblicks "Menschen 2010" in Grünwald bei München - und bewies, dass er zu Recht zu den bedeutendsten Moderatoren im deutschen Fernsehen zählt.
Das Jahr 2010 sei eine Achterbahnfahrt gewesen, sagt er gleich zur Begrüßung: "Wie schnell es von oben nach unten gehen kann, haben Sie vielleicht am letzten Samstag gesehen - als aus Spaß innerhalb von wenigen Minuten ernst wurde, als mein Kandidat Samuel, der darauf gebrannt hatte, sich mit einer spektakulären Wette einem Publikum zu präsentieren, plötzlich bewusstlos vor uns lag." Gottschalk wirkt betroffen - aber souverän und professionell, verhaspelt sich nicht.
"Die Familie gibt uns Halt und Kraft"
In der ZDF-Sendung am Sonntagabend um 20.15 Uhr wurde an dieser Stelle ein zwölfminütiges Interview mit Samuels Vater Christoph Koch gezeigt, das Gottschalk bereits Freitagnachmittag geführt hatte - auf Wunsch des Vater ohne Publikum. Er habe dieses Gespräch nicht als recherchierender Journalist geführt, sondern als Betroffener, sagte Gottschalk - und so kam es auch rüber: Persönlich und nachdenklich sprach der Vater über die Situation der Familie nach dem Unfall. "Wir weinen und heulen viel als Familie, aber auch gerade diese Familie gibt uns Halt und Kraft", sagte Christoph Koch und berichtete über seinen Sohn Samuel: "Er ist unheimlich traurig, es bedrückt ihn, er macht sich Gedanken über seine Zukunft, wie es weiter geht."
Aber inmitten all der Traurigkeit gebe es auch schöne, tröstende Momente. "Was wir in diesen letzten Tagen auch an persönlicher Zuneigung, an Herzlichkeit von anderen Menschen, von Freunden von Samuel, erlebt haben, das hat uns geholfen...", sagte Koch. Er selbst hatte das Auto gefahren, über das sein Sohn gestrauchelt und in der Folge so schwer gestürzt war - das sei aber "in gewisser Weise etwas Glückliches", sagte er. "Wenn es einem seiner Freunde und Mitfahrer passiert wäre, das wäre für diese jungen Kerle schrecklich gewesen. Ich kann das mit Samuel verarbeiten, und wir haben auch schon miteinander gesprochen darüber."
Der 23-Jährige wurde seit seinem Sturz in der Düsseldorfer Uni-Klinik behandelt und am Samstag in eine Reha-Klinik in die Schweiz geflogen. Ihm drohen wegen schwerer Wirbelsäulenverletzungen dauerhafte Lähmungen. Immerhin atmet er wieder selbstständig und zeigt Anzeichen für Bewegungen an einem Bein, teilte die Uniklinik mit. Nach seiner Ankunft in der Schweiz sollte sich der junge Mann erst einmal ausruhen. Am Sonntag wollte sich das medizinische Team einen Überblick über den Zustand des Patienten verschaffen. Am Montag werde man dann etwas über die nächsten Schritte sagen können, erklärte eine Kliniksprecherin.
Gottschalk schlägt leisere Töne an
Dass es Samuel etwas bessergehe, sei auch ein Grund dafür, dass er den Jahresrückblick überhaupt moderiere, betont Gottschalk in der Aufzeichnung. Zum Tagesgeschäft könne er aber dennoch nicht übergehen. Wäre der Jahresrückblick "eine Spiel- und Spaß-Veranstaltung gewesen, dann würde ich hier nicht stehen". Der Unfall von Samuel habe ihm zum ersten Mal in seinem Leben gezeigt, was es heißt, sich für etwas verantwortlich zu fühlen, das man nicht persönlich verschuldet hat.
Und Verantwortung übernimmt Gottschalk in dieser Sendung. Zwar kommt er im Laufe der Aufzeichnung nur einmal - im Gespräch mit NRW- Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die bei Samuels Unfall in Düsseldorf in der ersten Reihe saß - wieder auf die tragische Sendung zu sprechen, dennoch trägt er ihr Rechnung. Gottschalk witzelt zwar immer noch mit seinen Gästen, doch der Ton, den er anschlägt, ist merklich leiser.
Er selbst nimmt sich deutlich mehr zurück als seine Zuschauer es beispielsweise aus früheren "Wetten, dass.."-Folgen kennen und hört seinen Gästen besser zu. Dazu passt, dass er statt seiner berühmt- berüchtigten und meist sehr ausgefallenen und bunten Outfits an diesem Abend einen schlichten, grauen Anzug trägt. Man merkt Gottschalk an, dass er innegehalten hat.
Nur dadurch gelingt es ihm, den Spagat zu schaffen und aus dem Jahresrückblick, der mit einem so schrecklichen Thema begann, insgesamt eine unterhaltsame Sendung zu machen, die zu keinem Zeitpunkt pietätlos wirkt. "Es geht nicht, dass man eine Sendung von Dur nach Moll verschiebt. Man kann keine Fernsehunterhaltung machen, ohne dass gelacht wird", sagte Gottschalk vor dem Beginn der Aufzeichnung zum Publikum. "So bin ich und so werde ich bleiben."