Naturwissenschaft und Glaube: Die Begegnung birgt Zündstoff. Extremisten des einen Lagers wie Richard Dawkins meinen, Religion sei die Wurzel allen Übels in der Welt und sollte endlich durch rationale, beweisbare Erkenntnis abgelöst werden. Eiferer des anderen Lagers, die Kreationisten, wollen Wissenschaft der Grundregel unterwerfen, dass nicht sein kann, was aus religiösen Gründen nicht sein darf. Aber auch wenn einem diese Extreme unsympathisch sind: Erschüttert nicht die Wissenschaft und speziell die Hirnforschung vieles, was lange als selbstverständlich galt: Dass es eine unsterbliche Seele gibt, dass Gott den Lauf der Welt lenkt, dass der Mensch autonome und freie Entscheidungen treffen kann?
Angesichts dieser Frontstellung gestaltete sich der Dialog vergleichsweise harmonisch, zu dem zwei hochkarätige Vertreter der beiden Lager am Freitagabend aufeinander trafen: Vor dicht besetzten Zuhörerreihen diskutierten der Frankfurter Hirnphysiologe Wolf Singer und der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber. "Würfelt Gott?" war der von dem pensionierten Diplomaten Manfred Osten moderierte Abend überschrieben.
Der Mensch nur ein Produkt der Evolution?
Schnell wurde zwar deutlich, dass beide ihren Disziplinen entsprechend von völlig unterschiedlichen Menschenbildern ausgehen. So beschrieb der Theologe den Menschen als endliches Wesen, das sich in seiner Endlichkeit aber zugleich auf etwas anderes, eine umfassendere Wirklichkeit beziehe, also "selbsttranszendent" sei. Für den Naturwissenschaftler ist der Mensch dagegen vor allem ein Produkt der Evolution. Der Unterschied zu den übrigen Lebewesen: Er habe es geschafft, der biologischen noch eine kulturelle Evolution hinzuzufügen.
Trotzdem waren sich die beiden an vielen Punkten einig. Singer gestand zu, dass die kulturelle Entwicklung auch soziale und geistige Dinge hervorbrachte, die durchaus real und "wirkmächtig" seien, und dass ihre Methodik der Naturwissenschaft Grenzen auferlegt, jenseits derer sie nichts mehr aussagen kann. Huber wiederum hütete sich, der Wissenschaft das Terrain naturgesetzlich erklärbarer Vorgänge streitig zu machen. So widersprach er nicht, als Singer die landläufige Vorstellung einer immateriellen Seele für unhaltbar erklärte. Auch wollte er nicht Gott als Erklärung bemühen, wo Prozesse etwa bei der Entstehung des Lebens noch nicht wissenschaftlich verstanden sind: "Evolution und Gott sind keine konkurrierenden Kausalbeschreibungen", so Huber. Beides sei vielmehr "zueinander orthogonal" wie voneinander unabhängige Koordinatenachsen - dem Glauben gehe es um Deutungen statt um strenge "wenn, dann"-Erklärungen.
Wie schwer diese Glaubensebene dem Naturwissenschaftler zugänglich ist, wurde aber auch schnell deutlich. Hubers Charakterisierung seines Glaubens als "Vertrauen auf eine mir zugewachsene Gewissheit" dürfte Singer nicht wirklich überzeugt haben, der auf ein "Entscheidungskriterium" gepocht hatte - schließlich gebe es doch nicht nur eine mögliche Antwort auf die Endlichkeit des Menschen, sondern gleich fünf verschiedene Weltreligionen, die "alle gleich plausibel" seien. Ebenso schwer vereinbar: Die für Singer offensichtliche Tatsache, dass mit dem Körper und dem Gehirn auch das Ich des Menschen unwiderbringlich stirbt, und die christliche Hoffnung auf das Ewige Leben. Huber erklärte sie so: Auch wenn die materielle Grundlage des Ich zerfalle, sei doch die Beziehung zu Gott etwas, das bleibe.
"Den freien Willen kann es nicht geben"
Drehte sich das Gespräch bis dahin vor allem um Glaubensfragen, wendete es sich in der zweiten Hälfte stärker einem Kernthema der Hirnforschung zu: der menschlichen Freiheit. "Den freien Willen in dem Sinn, wie die Umgangssprache den Begriff benutzt, kann es nicht geben", stellte Singer lapidar fest. Was wir als Entscheidung wahrnähmen, seien neuronale Prozesse im Gehirn, die - sofern man nicht die Naturgesetze außer Kraft setzen wolle - immer nur streng kausal durch andere neuronale Prozesse hervorgerufen werden könnten. So führten unbewusste Vorgänge zu einem bewussten Ergebnis - und dabei entstehe die Illusion, "wir" hätten uns entschieden und unsere Neuronen zu einem bestimmten Verhalten gebracht.
Wert legte Singer darauf, dass diese faktische Unfreiheit nicht das Prinzip individueller Verantwortung überflüssig mache. "Verantwortlich bleibt der, der etwas getan hat - wer sonst?" Auch Bestrafung mache weiter Sinn. Das Sozialverhalten eines kaltblütigen Mörders liege schließlich weit außerhalb der Norm. Für die Gesellschaft sei es legitim, zu versuchen, solche Individuen zu einem normaleren Verhalten zu bewegen. Überhaupt seien seine Aussagen über den unfreien Willen "nichts Schlimmes", so Singer. "Ich weiß nicht, warum die Aufregung immer so groß ist."
Maultaschen- und Glaubensentscheidungen
Huber versprach, gelassen zu bleiben, und verwies wieder auf die Endlichkeit des Menschen. Dessen Freiheit könne also auch aus theologischer Sicht nie absolut, sondern immer nur eine bedingte Freiheit sein. "Fragwürdig" finde er allerdings, die Ergebnisse der Hirnforscher als deterministische Festlegung des Menschen zu interpretieren: "Ich war es doch, der sich vorhin für Maultaschen und gegen Flammkuchen entschieden hat, und ich sage auch im Nachhinein ja zu dieser Entscheidung." Dass mehr auf dem Spiel steht als die Speisekarte, hatte Huber schon zuvor deutlich gemacht: Zu glauben sei schließlich kein Zwang, sondern "Ausdruck menschlicher Freiheit".
Singer setzte dem entgegen, dass man bei "Determinismus" meist an so etwas wie ein Räderwerk denke, das sich vollkommen vorhersagbar verhält - dass dieses Konzept aber veraltet sei. Tatsächlich sei kaum vorstellbar und auch mathematisch nicht vorhersagbar, wie sich ein dermaßen komplexes, nichtlineares System wie das Gehirn entwickle. Da bleibe trotz deterministischer Prozesse Raum für so etwas wie Kreativität.
Komplex und nichtlinear entwickelten sich auch die verbleibenden 20 Minuten der Diskussion. Schuld, Erlösung, Rituale wurden gestreift, die Titelfrage des Abends, "Würfelt Gott?", blieb weiterhin ausgeklammert. Weitgehend einig wurden sich Hirnforscher und Theologe immerhin bei der Erbsündetheorie. Singer: "Ich finde es eine Gemeinheit, wenn man jedem Säugling zuspricht, schuldig zu sein." Huber hielt zwar an der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen fest: "Zur meiner Endlichkeit gehört, dass es Menschen gibt, denen ich nicht gerecht werde." Diese Tatsache durch eine bei der Zeugung weitergereichte Erbsünde erklären zu wollen, sei aber "paradox" und enthalte "furchtbare Elemente".
Ulrich Pontes ist freier Journalist und interessiert sich besonders für Themen im Grenzbereich von Wissenschaft und Weltbild.