Hatten Sie mit dem durchschlagenden Erfolg gerechnet, als Sie die Hauptrolle in "Von Menschen und Göttern" angenommen haben?
Lambert Wilson: Nein, überhaupt nicht! Für mich war das von Anfang an ein Film, der neue Wege beschreitet, der anders ist als das, was man sonst in den Kinos sieht. Wir hatten vielleicht mit 500.000 Zuschauern in Frankreich gerechnet - heute sind wir bei über 3 Million, und zuvor wurde der Film in Cannes mehrfach ausgezeichnet. Nicolas Sarkozy hat sich den Film in einer exklusiven Vorführung im Elysee-Palast angeschaut und sogar der Papst hat sein Interesse bekundet. Es ist unglaublich!
Wie haben Sie sich als Schauspieler auf diese intensive Rolle des Mönchs Christian Chergé vorbereitet?
Wilson: Der Regisseur Xavier Beauvois hat uns ausführlich mit Informationsmaterial und vielen Büchern aber das Algerien der 90er Jahre versorgt. Außerdem haben wir uns für einige Tage in ein Kloster in den Alpen zurückgezogen, wo wir mit Mönchen gelebt und ihren Tagesablauf und ihre Gottesdienste verfolgt haben. Eine echte Herausforderung war es, die religiösen Gesänge einzuüben. Die Mönche verbringen immerhin vier Stunden täglich mit Gesang. Ich glaube, dabei ist aus unserer Gruppe von acht Schauspielern eine echte Gemeinschaft geworden. Es war unsere Aufgabe, uns so in den Alltag der Mönche einzuarbeiten.
Inwiefern habe Sie sich mit dieser außergewöhnlichen Rolle eines Mönchs identifizieren können?
Wilson: Zunächst eigentlich gar nicht. Als Schauspieler versuche ich immer, mich so gut wie möglich zu verwandeln, mich der Figur anzupassen. Ich finde Rollen besonders spannend, wenn die Figur mir fremd ist. Aber andererseits entdecke ich in jeder Rolle auch einen kleinen Teil von mir. Irgendwo steckt auch in mir ein Mönch, der zwar nicht an der Oberfläche, aber dennoch präsent ist. Ich liebe es, allein zu sein, ich mag Ruhe, Gebete und Natur. Und diese Eigenschaften habe ich dann in die Rolle eingebracht.
Welche Einstellung haben Sie persönlich zum Thema in "Von Menschen und Göttern"?
Wilson: Ich denke, man hätte mir diese Rolle wohl nicht vorgeschlagen, wenn man nicht gewusst hätte, dass die Frage des Glaubens für mich eine wichtige Rolle spielt. Für mich ist der Glaube eine ständige Selbstbefragung, bei der mir allerdings oft die Antworten fehlen. Ich bin voller Zweifel, ich bin immer noch auf der Suche nach meinem Platz im Universum. Das Problem ist, dass ich skeptisch gegenüber Religionen und Dogmen bin. Aber ich denke, auch ein tief religiöser Mensch behält immer gewisse Zweifel. Und das hat mich an der Rolle des Pater Christian fasziniert, die unglaubliche Kraft seiner Überzeugung. Trotz seiner Zweifel hat Christian Chergé die Leitung der Bruderschaft nie aufgegeben, hat sich nie vor der Verantwortung gedrückt. Er war sich bewusst, dass er seine Brüder auf einen sehr gefährlichen Weg geführt hat, und das hat ihn sicher gequält. Zugleich verfügte er über eine enorme geistige Kraft, über ein echtes Verlangen, auf den Glauben des Anderen zuzugehen und eine Verbindung zwischen Islam und Christentum aufzubauen. Diese Stärke ist beeindruckend. Stellen Sie sich vor, wie gefährlich und extrem riskant es damals in Algerien für christliche Mönche war. Pater Christian hat seine Bruderschaft mit in dieses Risiko hineingezogen und ist stets festen Glaubens geblieben. Er war da, um den Leuten aus dem Dorf zu helfen, um ihre Sorgen zu teilen. Mich beeindrucken Menschen ungemein, die an ihre Ideale glauben und an ihnen festhalten und die insofern ein autonomes Leben führen.
"Von Menschen und Göttern" wurde in Marokko gedreht. Wie sind die Dreharbeiten verlaufen, wie haben die Marokkaner reagiert?
Wilson: Zunächst muss ich sagen, dass unsere marokkanischen Techniker einen richtig guten Job gemacht haben. Alle im Team wussten bescheid über das Massaker algerischen Tibhirine. Die Marokkaner zeigten sich davon tief betroffen, und ich glaube es war ihnen wichtig zu zeigen, dass die Kommunikation zwischen den Religionen auch anders verlaufen kann. Ich glaube, wir haben beim Dreh die gute Seite des interreligiösen Dialogs erlebt. Die Moslems haben uns gezeigt, dass es auch einen friedlichen und sanften Islam gibt. Wir haben in einem ehemaligen Kloster gedreht, dessen frühere Mönche sich bis heute um die Ausbildung oder um die bürokratischen Angelegenheiten der muslimischen Dorfbevölkerung kümmert - genauso wie damals die Bruderschaft um Christian Chergé. Diese Männern waren total in das Leben der Dorgemeinschaft integriert und wurden sehr respektiert. Beim Dreh haben wi einige Dorfbewohner getroffen, die uns sagten, dass sie ihnen sehr viel zu verdanken haben.
Was haben Sie persönlich beim Dreh von "Von Menschen und Göttern" gelernt?
Wilson: Ich glaube, die wichtigste Lehre dieses Films ist: habt keine Angst voreinander! Diese Erkenntnis hat meine Einstellung zu anderen Menschen verändert. Ich versuche, den Menschen mit Vertrauen und nicht mit Verdächtigungen zu begegnen. Das Leben von Christian Chergé war bestimmt von seiner Suche nach Liebe, selbst für den eigenen Feind. Eine Szene zeigt, wie er für den getöteten Chef der Rebellengruppe betet, der als sehr gefährlich und brutal galt. Anstatt über seinen Tod erleichtert zu sein, betet er für ihn, wie für jeden toten Menschen. Das ist eine Denkweise, die irgendwo in mir war, aber die durch die Arbeit an diesem Film wieder mehr an die Oberfläche gekommen ist. Ich ziehe für mich aus diesem Film die Lehre: habt keine Angst! Und das in einer Zeit, in der einem ständig das Gegenteil vermittelt wird. Unsere Staatsautoritäten empfehlen uns andauernd, Angst vor dem Andern zu haben und ihm zu misstrauen. Aber das kann nicht richtig sein.