PISA-Diskussion: Sind Lehrer schlecht ausgebildet?
Lernen unsere Kinder zu wenig, weil ihre Lehrer zu schlecht sind? Tragen Schulen und Universitäten die Verantwortung für die PISA-Ergebnisse? Nach der Vorstellung der neuen PISA-Ergebnisse gestern wird nach besserer Lehrerausbildung verlangt. Dadurch werden soziale Probleme allerdings nicht gelöst.
08.12.2010
Von Anne Kampf

Jugendliche im Alter von 15 Jahren haben in den Naturwissenschaften und Mathematik aufgeholt, doch beim Lesen und Verstehen von Texten kommen deutsche Schulen im weltweiten Vergleich nicht über das Mittelmaß hinaus. Die soziale Förderung bleibt mangelhaft. Das ist - knapp zusammengefasst - das Ergebnis der aktuellen PISA-Studie, die am Dienstag vorgestellt wurde.

Sachsens Kultusminister Roland Wöller (CDU) hat eine bessere Lehrerausbildung angemahnt. "Der Bund sollte gemeinsam mit den Ländern eine Exzellenzinitiative ins Leben rufen", sagte der CDU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa in Dresden. Wenn der Aufwärtstrend bei Pisa anhalten solle, müsse mehr in die Qualität der Lehrerausbildung investiert werden. "Wir brauchen nicht nur genügend Lehrer, sondern wir brauchen die richtigen Lehrer." Mindestens genauso wichtig wie die fachwissenschaftlichen Kenntnisse sei die pädagogische Eignung, betonte der Minister. Da die Grundlagen dazu an den Universitäten gelegt würden, seien auch dort Verbesserungen nötig.

Mehr Bildung für Lehrer gefordert

Auch der Bildungsforscher Ewald Terhart fordert als Konsequenz aus der jüngsten Pisa-Lese-Studie eine bessere Qualifikation von Lehrern. "Um die Weiterbildung von Lehrern steht es im Vergleich zu anderen Berufen sehr schlecht", sagte der Experte von der Universität Münster im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Als zentralen Schritt auf dem Weg zu besseren Schulleistungen sieht der Erziehungswissenschaftler die Weiterbildung von Lehrern. "Das kostet zwar Zeit und Geld, ist aber eine sinnvollere Investition als die in die Erstausbildung an Universitäten", meint Terhart.

An der Universität Siegen bildet der Erziehungswissenschaftler Hans Brügelmann angehende Lehrerinnen und Lehrer aus. Seiner Ansicht nach spielen die Ausbildungsordnungen keine so große Rolle für die Qualität der Berufsvorbereitung. Empirische Erhebungen hätten gezeigt, dass die jungen Menschen sich im selben Bundesland sehr unterschiedlich gut auf den Lehrerdienst vorbereitet fühlen, abhängig davon, an welcher Uni und bei welchen Dozenten sie studiert haben. In der Studie wurden die unterschiedlichen Systeme in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg verglichen. "Wenn man an Ordnungen dreht, ist damit nicht viel gewonnen", meint Brügelmann. Zumindest dauere es eine lange Zeit, bis veränderte Strukturen in der Praxis wirksam würden. Die Forderung, die Ausbildung der Lehrer müsse stärker praxisorientiert sein, sei richtig.

Eignung zum Lehrerberuf kann sich entwickeln

Nach der derzeitigen Studienordnung in NRW absolvieren die Lehramts-Studenten insgesamt zwölf Wochen Praktika in Schulen, davon vier direkt zu Beginn des Studiums. "Aber zur Zeit fällt es mir schwerr, Studenten länger an Schulen zu schicken", sagt Brügelmann, denn: "Es gibt zwar engagierte und kompetente Lehrer, bei denen sie viel lernen – aber leider auch zu viele andere." Solange es nicht genügend kompetente Mentoren gebe, sei der Weg über mehr Praktika eine Sackgasse. Deshalb plädiert Brügelmann für mehr Qualifizierung und Entlastung derjenigen Lehrer und Mentoren, die den jungen Studenten und Lehramtsanwärtern den Schulalltag nahe bringen.

Ob ein junger Mensch für den Lehrerberuf geeignet sei oder nicht, mag der Erziehungswissenschaftler zu Beginn des Studiums nicht verbindlich beurteilen: "Beratung ist wichtig, aber hat nicht unbedingt die Effekte, die ich mir wünsche". Studenten, die während der Schulpraktika Probleme erlebten, seien häufig selbstkritisch und nachdenklich - und damit "die guten Leute, die ich halten will", betont Brügelmann. Menschen seien entwicklungsfähig, deswegen sollten sie seiner Ansicht nach durch Praktika und begleitende Seminare die Möglichkeit zur Weiterentwicklung bekommen.

Kollegien brauchen mehr Zeit

Für die Fortbildung von Lehrern gebe es ebenfalls nicht genügend qualifizierte Dozenten, sagt  Brügelmann: "Da kommen so viele Anfragen, dass sie nicht alle annehmen können - und wer macht’s dann?“ Angefragt würden Professoren, Kollegen oder Autoren von Lehrbüchern. Zum Teil sei die Verantwortung für die Weiterbildung der Lehrer auf die einzelnen Schulen verlagert worden, "aber leider nutzen nicht alle ihre Etats tatsächlich dafür."

Das Grundgefühl von Lehrern sei heute, dass es immer mehr Zusatzbelastungen gebe, zum Beispiel durch Lernstandserhebungen, Gutachten oder individuelle Förderung. Die Kollegien könnten nichts in Ruhe erproben, weil auf eine Reform immer schon die nächste folge, kritisiert Brügelmann. Er macht sich Sorgen, dass "neue Konzepte nicht durch eigene Erfahrung entwickelt werden und Dinge sich nicht setzen können". 

So sieht es auch Klaus Holz, der Generalsekretär der Evangelischen Akademien in Deutschland. Er leitet ein Netzwerkprojekt mit dem Titel "Zukunft der Bildung in Deutschland" und versucht, in Fortbildungen und Tagungen Soziales und Bildung besser miteinander zu verzahnen. Seiner Ansicht nach geht es in der PISA-Diskussion nicht in erster Linie um die Qualifikation der Lehrer. "Es gibt Gute und Schlechte wie in jedem Beruf", meint Holz, und natürlich müsse man die Ausbildungsgänge an den Universitäten immer weiter fortschreiben.

Nirgendwo anders hängt Erfolg so sehr vom Milieu ab

Das zentrale Problem der Bildungspolitik ist seiner Ansicht nach allerdings in der Integrationspolitik zu suchen. Auch die Autoren der PISA-Studie haben das festgestellt: Der Sprecher der deutschen PISA-Forscher, Eckhard Klieme, sieht zwar deutliche Verbesserungen bei der Förderung von Migrantenkindern und Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern. Gleichwohl zeige der weltweite Vergleich, dass immer noch in keiner anderen Industrienation der Bildungserfolg so abhängig von der sozialen Herkunft und vom Schulmilieu ist wie in Deutschland. Nirgendwo anders ist es so ausschlaggebend, auf welche Schule die Eltern ihr Kind schicken können. In der entsprechenden OECD-Tabelle belegt Deutschland dabei den letzten Platz.

Akademie-Leiter Holz erinnert an die Debatte um Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" und meint, viele Kommentare in dieser Diskussion hätten bei Migranten zu Verunsicherung und Demotivation geführt. "Sie bekamen vermittelt, das man durch eigene Anstrengung nichts erreichen kann", so Holz. Die Schwierigkeit im Bildungsbereich liege darin, dass Deutschland sich über Jahrzehnte geweigert habe, sich als Einwanderungsland zu sehen. Die Versäumnisse könne man nicht innerhalb von fünf Jahren reparieren.

"Soziales Problem bleibt an der Schule hängen"

Den Schulen müsse man günstigere Bedingungen verschaffen, damit sie ihren Auftrag erfüllen könnten, der über das Unterrichten hinausgehe. Dabei gehe es nicht nur um Kinder aus Einwandererfamilien: "Wir diskutieren ethnisch, was eigentlich ein Schichtenproblem ist". Lehrer und Schulträger müssten zu viele Reformen direkt hintereinander verkraften, und zwar "unter finanziell mäßigen bis schlechten Bedingungen."

Kindern mit schlechten Startbedingungen müsse man mehr Betreuung anbieten, dafür bräuchten die Schulen Personal, und zwar nicht unbedingt Lehrer, sondern Sozialpädagogen. "Es ist mir zu einfach, zu sagen, die Lehrer würden ihre Arbeit nicht mehr leisten", sagt Holz, der im Fortbildungs-Alltag oft mit Lehrern zu tun hat: "Die hat man über Jahrzehnte demotiviert. Hier bleibt ein soziales Problem an der Schule hängen." 

mit Material von dpa

Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.