Ziel Tripolis: Afrikanische Migranten in Libyen
Sie kommen aus dem Sudan, aus Somalia oder Nigeria und versuchen, von Tripolis in ein neues Leben zu starten. Reportage aus einem Auffanglager für afrikanische Migranten in Libyen.
08.12.2010
Von Tanja Tricarico

Ein weißer Betonblock in der staubigen Geröllwüste, die Fenster sind vergittert, Wachleute patrouillieren um das Gebäude. Das Auffanglager für illegale Einwanderer ist nur wenige Kilometer vom Flughafen der libyschen Hauptstadt Tripolis entfernt. Mehrere hundert Menschen leben hier. Männer, Frauen, Kinder: Die meisten kommen aus Somalia, dem Sudan, Nigeria, Eritrea oder Ghana.

Das Lager ist eine von zwölf Flüchtlingsunterkünften in Libyen. Wer illegal über die Grenze kommt und entdeckt wird, wird in eines der Lager gebracht. Dort warten die Flüchtlinge auf ihre "rote Karte": eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Monate, die die Regierung von Staatschef Muammar al-Gaddafi seit dem Amnestiegesetz gewährt, das Mitte des Jahres erlassen wurde.

Wer zahlt, wird nicht nach Papieren gefragt

Das Lager am Flughafen war Achmads erste Station in Tripolis. Seinen vollständigen Namen möchte er lieber nicht nennen. Fast drei Jahre hat er in dem Lager verbracht. Seit er die "rote Karte" hat, arbeitet er als Handlanger an einer Tankstelle in der Innenstadt. Ein bis zwei libysche Dinar verdient er in der Stunde, umgerechnet nicht mehr als ein Euro.

Achmad kommt aus Nigeria. Er gehört zu den rund zwei Millionen afrikanischer Einwanderer, die in Libyen leben. In den großen Städten Tripolis oder Bengasi versuchen sie, an Jobs zu kommen. Viele wollen von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa.

Achmads Frist auf seiner "roten Karte" verstreicht bald. Wenn die Behörden ihn aufgreifen, können sie ihn sofort nach Nigeria zurückschicken oder auf unbestimmte Zeit einsperren. Vor den Behörden hat Achmad dennoch wenig Angst. Hilfsorganisationen zufolge fragen die Beamten nicht nach Papieren, wenn die Einwanderer bezahlen. Die Schwarzafrikaner sind billige Arbeitskräfte für Jobs, die Libyer nicht machen wollen.

"Sie behandeln uns wie Sklaven"

Schlimmer als die Willkür der Behörden sind für Achmad die Anfeindungen der libyschen Bevölkerung. "Sie behandeln uns wie Sklaven", sagt er. Beschimpfungen sind an der Tagesordnung. Aussicht auf einen Arbeitsvertrag hat er nicht. Zurück nach Nigeria will er trotzdem nicht.

Libyen ist ein Land im Umbruch. Internationale Konzerne wollen ins libysche Öl- und Gasgeschäft einsteigen. Vor der Mittelmeerküste errichtete der Energiekonzern Shell vor kurzem eine neue Bohrinsel. Großkonzerne stecken Millionen in das Land. Der Tourismus bekommt Auftrieb, neue Luxushotels mit westlichem Standard entstehen.

Das Flüchtlingsproblem ist der schwarze Fleck auf dem Erfolgskurs des Landes, sagen Flüchtlingshelfer, die in Libyen arbeiten. Es gibt weder Asylverfahren noch Gesetze, die Flüchtlinge schützen. Menschenrechtler berichten von Misshandlungen und Vergewaltigungen in den Gefängnissen.

Die Seewege sind dicht

Kurz vor 22 Uhr in einer Seitengasse in der Altstadt von Tripolis: Der Wind treibt den Geruch von Meerwasser durch die Straßen. Assad lehnt an einer Mauer, zündet sich eine Zigarette an. Assad kommt aus Somalia. Seit zwei Jahren lebt er in Tripolis. Über Umwege ist er nach Libyen gekommen. Die Reise hat ihn viel Geld gekostet, sagt er. Seit kurzem hat er einen Job als Straßenfeger. Er spart für die Überfahrt nach Europa.

Die EU will die illegale Einwanderung über das Mittelmeer eindämmen und sucht die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Ländern. Seit die Europäische Union Libyen für die Grenzsicherung bezahlt, sind die Seewege erst einmal dicht. Bilder von übervollen Booten mit Flüchtlingen, die übers Mittelmeer nach Malta oder Italien kommen, gibt es derzeit nicht. Nach Angaben von Pro Asyl und dem Jesuitischen Flüchtlingsdienst fordern die Schlepper jetzt noch mehr Geld, um Grenzpatrouillen zu bestechen.

Ziel möglichst bald: Europa

"Ich kann arbeiten", sagt Assad. Für seine Frau ist es im streng islamischen Libyen viel schwieriger, einen Job zu finden. Viele Migrantinnen, die nicht als Hausangestellte unterkommen, landen seit neuestem in der offiziell verbotenen Prostitution.

Assad und seine Frau leben mit anderen Somaliern im Zentrum von Tripolis. Regelmäßig kommt die libysche Polizei, durchsucht die Zimmer, fordert Geld. "In Libyen bist du nirgends sicher", sagt er. Tripolis soll nicht ihre Endstation bleiben. Bei der nächsten Gelegenheit wollen sie Richtung Europa aufbrechen.

epd