Klimawandel in der Südsee: "Bei Flut klettern wir auf die Palmen"
Für die Bewohner von fünf Inseln in der Südsee ist der Klimawandel keine ferne Schreckensvision, sondern Realität: Ihre Heimat versinkt im Meer. Und sie ist wahrscheinlich nicht zu retten.
08.12.2010
Von Matthias Knecht

"Früher war bei uns das Paradies." Ursula Rakova (46) erzählt ohne Wut über ihre untergehende Heimat Tulun. Das sind fünf winzige Inseln in der Südsee, mit 2.325 Einwohnern. Die höchste Erhebung ragt 1,20 Meter aus dem Meer empor - noch. Denn der Klimawandel lässt den Meeresspiegel steigen, die Inseln versinken. Tulun, im Ausland als Carteret Islands bekannt, gehört zu Papua-Neuguinea.

Fast die Hälfte der früheren Fläche Tuluns liegt schon unter Wasser. Aus den einstigen Brunnen kommt Salzwasser. "Vor 30 bis 40 Jahren hatten wir noch ein gutes Leben. Wir aßen Süßkartoffeln, Bananen, Brotfrüchte und die Tarofrucht. Jetzt ist das alles nicht mehr möglich", berichtet Rakova am Rand der Klimakonferenz im mexikanischen Cancún.

Sie schildert, wie sich Eltern ihre Kinder um den Bauch binden und auf Palmen klettern, wenn eine starke Flut kommt. Es ist nicht nur die Angst vor dem nächsten Hochwasser, die das Leben im einstigen Paradies zur Qual werden ließ. Früher versorgten sich die Menschen auf Tulun selbst, mit Früchten und Fisch.

Heute können sie manchmal tagelang nicht fischen, weil auch das Wetter unbeständig wurde. "Dann gibt es eben nichts zu essen", sagt Rakova mit irritierender Sachlichkeit. Die Regierung schickt jetzt Lebensmittel. Doch damit kamen neue, bisher unbekannte Krankheiten wie Diabetes und Malaria.

Kein passendes Wort in der Landessprache

Fünf verschiedene Wörter gibt es in Tulun für den Wind, je nachdem wie stark er weht und woher. Aber für den Klimawandel gibt es kein einziges Wort. Schließlich dachten die Menschen vor kurzem noch, das steigende Wasser sei eine Strafe der Geister. Nur Rakova wusste es besser, weil sie studiert hatte.

Der Ältestenrat wollte sie zuerst nicht ins Ausland lassen. Schließlich reiste sie doch nach Mexiko, zur Weltklimakonferenz in Cancún. Es dauerte drei Tage. "Ich nahm es auf mich, um der Welt vom Leiden meines Volks zu berichten", sagt die kleine, stämmig gebaute Frau.

Zu retten ist Tulun nicht mehr, und Rakova weiß es. Die Inseln werden im Ozean verschwinden, selbst dann, wenn sich die Weltgemeinschaft darauf einigen sollte, den Temperaturanstieg wirksam auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. "Das ist ein schauriges Gefühl", sagt Rakova: "Wir müssen umziehen, ob wir wollen oder nicht."

Rakova leitet die Selbsthilfeorganisation Tulele Peisa, was wörtlich übersetzt bedeutet: "Aus eigener Kraft segeln". Unterstützt wird sie vom evangelischen Hilfswerk "Brot für die Welt", das in Tulun einen Präzedenzfall sieht. Thomas Hirsch, Klimaexperte des Hilfswerks, kämpft in Cancún dafür, dass die Industriestaaten als Hauptverursacher des Treibhauseffekts wenigstens für die Schäden der Erderwärmung aufkommen.

Die Industriestaaten bremsen

Adaptation (Anpassung) heißt die Hilfe für bedrohte und geschädigte Menschen in der Verhandlungssprache der Konferenz. Hirsch versucht, unbedingt einen bestimmten Satz ins Abschlussdokument von Cancún zu bringen: "Die Staaten erkennen klimabedingte Migration und Umsiedlung als Tatbestand an und verpflichten sich zu kooperieren."

Selbst gegen diese harmlos klingende Formulierung sperren sich die Industrieländer, auch Deutschland. Denn die 2.325 Einwohner Tuluns sind erst der Anfang. Experten schätzen, dass bis zum Jahr 2050 zwischen 50 und 500 Millionen Menschen gezwungen sein könnten, vor dem Klimawandel zu fliehen. Und kein Staat will die Verpflichtung eingehen, diesen Menschen zu helfen.

In Tulun warten die Einwohner währenddessen voller Angst auf die nächste Springflut. Kommt sie vom Riff her, werden sie auch diesmal auf den Palmen überleben. Kommt der Wind aber von der anderen Seite, dann könnte die Flut die Inseln endgültig untergehen lassen.

epd