Kirche sammelt Unterschriften für Hebammen
Maria und Josef, das Kind in der Krippe, Ochs und Esel im Hintergrund, und über dem Stall strahlt der helle Stern. Was beim Betrachten der vorweihnachtlichen Idylle meistens vergessen wird, ist die Geburt: Kein Bett, keine Hygiene, kein Schmerzmittel – und vor allem: Keine Hebamme.
08.12.2010
Von Anne Kampf

So wie Maria im Stall könnte es bald Frauen in Schleswig-Holstein bei der Entbindung gehen: Dort gibt es – wie in ganz Deutschland - immer weniger Hebammen. Seit Juli 2010 haben 33 freiberufliche Hebammen ihren Job aufgegeben, so dass es jetzt noch 125 gibt, rechnet Margret Salzmann vor. Sie ist Vorsitzende des Hebammenverbandes in Schleswig-Holstein.

Die Hebammen sind in Bedrängnis geraten, weil die Prämien für ihre Haftpflichtversicherung seit Juli 2010stark angestiegen sind: Von 2700 Euro im Jahr 2009 auf 3700 Euro jährlich. Hintergrund für diese Erhöhung ist laut Edith Wolber, Pressesprecherin des Deutschen Hebammenverbandes, dass man von höheren Pflegekosten bei Kindern ausgeht, die aufgrund von Fehlern bei der Geburt krank oder behindert sind. Für einen "großen Schadensfall" würden heute sieben Millionen Euro angesetzt, erklärt Edith Wolber - ein Risiko, das über die Versicherung zum Teil auf die Hebammen übertragen wird.

10 Prozent der Hebammen haben aufgegeben

Dagegen sind die Vergütungen, die sie von den Krankenkassen bekommen, nicht gestiegen. Für die Betreuung einer Geburt inklusive acht Stunden davor und drei Stunden danach erhält eine Hebamme 237 Euro im Krankenhaus, 445 Euro im Geburtshaus und 537 Euro für eine Hausgeburt, heißt es vom Berufsverband. Unter dem finanziellen Druck haben von bundesweit 4000 freiberuflichen Hebammen schon 400 das Handtuch geworden.

Zum Jahreswechsel rechnet Edith Wolber mit einer weiteren Welle, weil dann die Prämie für 2011 auf einen Schlag bezahlt werden muss. Der Hebammenverband hat zu Streiks unter anderem in Baden-Württemberg und Thüringen aufgerufen – davon sind allerdings nur Leistungen wie Vor- und Nachsorge, nicht die Geburtshilfe an sich betroffen. Der Protest der Hebammen richtet sich an die Krankenkassen. Mit Gesundheitsminister Rösler sind sie im Gespräch.

Er bekommt allerdings Anfang nächsten Jahres einen Stapel Unterschriften überreicht: Denn im Norden Deutschlands bekommen die Hebammmen jetzt im Advent Unterstützung von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche mit den Sprengeln Schleswig, Holstein, Hamburg und Lübeck. Seit Montag werden dort Unterschriften gesammelt mit dem Ziel, dass der Gesundheitsminister die Gesetze ändert.

"Gott identifiziert sich mit kleinen Menschenleben"

„Als Kirche darf es uns nicht gleichgültig sein, wie Kinder in unserer Gesellschaft leben, aber ebenso wenig darf es uns gleichgültig sein, wie Kinder ins Leben hinein kommen“, erklärt Gothart Magaard, Bischofsbevollmächtigter im Sprengel Schleswig und Holstein. „In wenigen Wochen feiern wir die Ankunft des Sohnes Gottes in dieser Welt. Er kommt als neugeborenes Kind. Gott identifiziert sich mit diesen kleinen schutzlosen Menschenleben.“

Mehrere hundert Menschen haben den Appell an Gesundheitsminister Rösler schon unterschrieben, Anfang nächsten Jahres wird ihm die Liste in Berlin übergeben (Bild links: Plakat der Hilfsaktion der Nordelbischen Kirche). Hebammen-Sprecherin Margret Salzmann ist für diese Unterstützung sehr dankbar: "Die Kirche als Institution wird einfach ganz anders wahrgenommen. Für uns liegt darin die Chance, dass wir noch einmal gehört werden."

Psalm 22: "Von Geburt an bin ich geworfen auf dich"

Die Nordelbische Synode hat ihren Beschluss, die Hebammen zu unterstützen, mit einem Psalmwort überschrieben: "Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter. Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott“ ( Ps 22, 10+11).

In dem Beschluss heißt es: "Wir, die Synodalen der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, sehen mit Sorge die oft schwierige Situation von jungen Familien in unserem Land. Aus unserer Erfahrung in der Begleitung von Familien auf dem Weg zur Taufe, in Kindertagesstätten, Schulen, in Beratungsstellen und anderen mehr wissen wir, dass nicht nur eine gute materielle Ausstattung wichtig ist, sondern auch die Möglichkeit guter Gesundheitsfürsorge, Zugang zu Bildung und eine umfassende soziale Einbindung. Dies alles darf uns nicht erst nach der Geburt eines Kindes interessieren, sondern betrifft auch die Fürsorge für werdende Mütter und Väter."

Selbsthilfe in Scharbeutz und auf Amrum

Die Gemeinde Scharbeutz an der Ostsee wartet nicht auf Reaktionen aus Berlin oder von den Krankenkassen: Sie hilft sich selbst. In Räumen der dortigen Kirchengemeinde bietet die Hebamme Heike Speth Geburtsvorbereitungskurse und Rückbildungsgymnastik an. Die Unterstützung junger Familien sei der Kirchengemeinde ein Anliegen, sagt Pastorin Vera Lindemann – so ist das Gemeindehaus am Strand morgens fest in der Hand von Kleinkindern und deren Eltern.

Ganz praktisch wurde auch auf Amrum Hilfe organisiert: Dort haben die Rotarier für ein Jahr die Versicherungsprämie der einzigen Hebamme auf der Insel übernommen. Dadurch kann sie zumindest vorübergehend bleiben – und die Frauen vor, während und nach der Geburt ihrer Kinder unterstützen.
 


 Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.