Nach der Abstimmung gab es in zahlreichen Städten der Schweiz Kundgebungen gegen das neue Gesetz. In Bern und Zürich kam es am Abend zu Ausschreitungen. Die Polizei setzte Gummischrot und Tränengas ein. Es gab Sachschäden. Die Wut richtete sich auch gegen Parteibüros der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Die Nationalkonservativen hatten den Vorstoß für die Abschiebung auf den Weg gebracht und einen großen Sieg davongetragen, wie es am Montag in den Schweizer Medien hieß. Da das Parlament nun einen Katalog von Delikten ausarbeiten und verabschieden muss, bei denen das Gesetz greift, können bis zum Inkraftreten der Verfassungsänderung jedoch bis zu fünf Jahre vergehen.
Nach Einschätzung von Experten könnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Pläne als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention einstufen. Besonders die mögliche Ausweisung in Folterländer könnte rechtlich unhaltbar sein. Auch könnten UN-Organe wie der UN-Menschenrechtsrat monieren, dass die Initiative gegen die UN-Anti-Folterkonvention verstößt. "Niemand darf in ein Land ausgeschafft werden, in dem ihm Tod und Folter drohen", betonte Justizministerin Sommaruga.
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) betonte unterdessen, sie wolle möglichst viele ihrer Vorstellungen in die neuen Gesetze einbringen. Die CVP hatte maßgeblich am Gegenvorschlag des Parlaments zu der Ausschaffungsinitiative mitgewirkt. Die Schweizer hatten aber den Gegenvorschlag mit rund 54 Prozent abgelehnt. "Am Schluss werden wir ein Gesetz haben, das nahe am Gegenvorschlag ist", sagte eine CVP-Sprecherin.
Verunsicherung in der Bevölkerung
Die meisten Schweizer Tageszeitungen werten das Ja zur "Ausschaffungsinitiative" als Ausdruck der Verunsicherung der Bevölkerung angesichts eines rasanten gesellschaftlichen Wandels. Die SVP habe es ein weiteres Mal geschafft, die Ängste der Leute für ihre Sache einzuspannen. Das Volk habe einer "fatalen Sehnsucht nach Idylle" nachgegeben, schreibt der "Tages-Anzeiger" aus Zürich.
Die Zeitung "Der Bund" aus Bern meint, das Ja zur SVP-Initiative zeige: "Fragen zur schweizerischen Identität und Kultur, ausgelöst durch den rasanten Wandel und die Migration, beschäftigen die Schweizerinnen und Schweizer wie kaum ein anderes Thema". Die "Neue Zürcher Zeitung" warnt, die Umsetzung des Gesetzes sei "voller sachlichem wie politischem Konfliktpotenzial".
Vertreter der Schweizerischen Volkspartei kündigten unterdessen an, weitere Volksabstimmungen zum Thema Ausländer anzustreben. So solle die Schweiz den Personalausweis an Neubürger nur noch auf Probe aushändigen. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll abgeschafft werden. Auch könnte die SVP die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU verlangen. "Was wir im Parlament nicht durchbringen, müssen wir mit Volksinitiativen erreichen", heißt es aus den Reihen der Nationalkonservativen. Schon bald könnte die SVP mit dem Sammeln von Unterschriften für neue Volksabstimmungen beginnen.
"Fremdenfeindliche Stimmung"
Der Schweizer Rechtswissenschaftler Andreas Auer machte für das Ergebnis der Volksabstimmung zur "Ausschaffung" eine fremdenfeindliche Stimmung verantwortlich. "Es ist eine allgemeine Stimmung, die eigentlich schon sehr lange dauert", sagte er am Montag im Deutschlandradio Kultur. "Es gibt seit mehr als 30 Jahren fremdenfeindliche Initiativen, die bisher alle abgelehnt wurden, und jetzt ist eine mal durchgekommen".
Auer kritisierte, die automatische Ausweisung ohne Einzelfallprüfung durch einen Richter könne dazu führen, "dass man nicht mehr auf die Verhältnisse abstellt und dass die speziellen Bedingungen der betroffenen Personen nicht berücksichtigt werden". Er sehe voraus, das sich der Streit lange hinziehen werde, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich. Falls es ein Gesetz gebe und die Urheber der Initiative damit nicht zufrieden seien, werde es zu einer weiteren Volksabstimmung kommen.
Die wesentlichen Passagen im Wortlaut
Auszüge aus dem Wortlaut der "Ausschaffungsinitiative" und der von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) vorgelegten Gesetzesänderungen:
"Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Sie (die Ausländerinnen und Ausländer) verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie: a) wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder b) missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben. (...)
Ausländerinnen und Ausländer, die (...) ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren, sind von der zuständigen Behörde aus der Schweiz auszuweisen und mit einem Einreiseverbot von 5 bis 15 Jahren zu belegen. Im Wiederholungsfall ist das Einreiseverbot auf 20 Jahre anzusetzen. Wer das Einreiseverbot missachtet oder sonstwie illegal in die Schweiz einreist, macht sich strafbar."