Leukämie-Alarm in Asse - Rätseln um Ursache
Die Symptome erinnern an die Krankengeschichten vieler Familien in der Elbmarsch, nahe dem Kernkraftwerk Krümmel. Die Ursachen für die Zunahme von Leukämie-Fällen in der Nähe des Atommülllagers Asse allerdings geben Experten aber noch Rätsel auf. Politiker aus Bund und Ländern fordern weitere Untersuchungen.
28.11.2010
Von Jan-Henrik Petermann

Einzelne Daten gab es schon länger, doch erst jetzt fügten sich die nüchternen Zahlen zu einem alarmierenden Gesamtbild: In der Region rund um das marode Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel sind in den vergangenen Jahren weitaus mehr Menschen an Leukämie erkrankt als im statistischen Mittel. Politiker aller Parteien zeigten sich am Freitag bestürzt und forderten eine rasche Untersuchung möglicher Zusammenhänge mit radioaktiven Stoffen oder einer zu hohen Strahlenbelastung. Ein Nachweis wäre - ähnlich wie bei den Blutkrebs-Fällen in der Nähe des Kernkraftwerks Krümmel in der Elbmarsch - indes schwierig zu führen.

Die niedersächsische Landesregierung versprach, dem Problem auf den Grund zu gehen. Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU), in deren Haus die Daten zusammengetragen wurden, dringt auf eine "zügige, transparente Aufklärung" mit Hilfe des Landkreises Wolfenbüttel. Aus der Staatskanzlei in Hannover hieß es, auch Ministerpräsident David McAllister (CDU) wolle "in bestmöglicher Weise" dazu beitragen.

Für den Anstieg der Blutkrebsrate gibt es noch keine Erklärung

SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel, zu dessen Wahlkreis das betroffene Gebiet gehört, forderte ein breit angelegtes Untersuchungsprogramm mit Beteiligung des Bundes. Die Vize-Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, kündigte in der "Braunschweiger Zeitung" (Samstag) an, am kommenden Mittwoch im Umweltausschuss einen Bericht der Bundesregierung zu den Krebsregistern einzufordern. Gabriel sagte dem Blatt, die Ergebnisse seien "Besorgnis erregend". Ein direkter Nachweis eines Zusammenhangs lasse sich aber oft nicht erbringen.

Nach Einschätzung der Nuklearmedizinerin Elke Bruns-Philipps aus dem Landesgesundheitsamt gibt es für den Blutkrebs-Anstieg in der Samtgemeinde Asse zwischen 2002 und 2009 bislang keine schlüssige Erklärung. "Wir wissen um die Häufigkeit, können aber noch keine weitergehenden Analysen zu einzelnen Patienten machen." Die Daten lägen in anonymisierter Form vor. Nachfragen bei Ärzten sollen nun konkrete Hinweise liefern, ob die Kranken in der Grube arbeiteten.

Seit 1966 überwachen die Behörden in der Umgebung des lecken Salzbergwerks, in dem große Mengen Atommüll lagern, die Luft, das Grundwasser und den Boden auf Gammastrahlung und radioaktive Stoffe. "Seither ist kein Eintrag in der Umgebung aus der Asse festgestellt worden", berichtete eine Sprecherin des Umweltministeriums. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) unterstrich, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Gefahren von der Asse ausgehen. Das zeigten Messungen über und unter Tage. Das BfS ist seit 2009 für das Atommülllager zuständig.

Krankengeschichten werden analysiert

In einem Vermerk des Sozialministeriums ist von 18 neuen Leukämie-Fällen in der Samtgemeinde die Rede - erwartet wurden in der 10.000-Einwohner-Gemeinde für den Zeitraum von 2002 bis 2009 nur acht. Die Zahl neuer Erkrankungen mit Schilddrüsenkrebs stieg in Asse nach Regierungsabgaben bei Frauen und Männern um mehr als das Dreifache: "Das ist ein Ergebnis, das Anlass zur Sorge gibt."

Strahlenexpertin Bruns-Philipps betonte, die derzeit verfügbaren Datensätze erlaubten noch keine eindeutige Feststellung der Ursachen. "Radioaktivität ist natürlich ein Risikofaktor. Es gibt aber auch andere." Für die kommende Woche sei ein Treffen mit Fachleuten des Bundesamts für Strahlenschutz geplant. "Dann müssen wir überlegen: Wie können wir weitere Informationen gewinnen?", sagte die Ärztin. Es könne Monate dauern, bis alle Krankengeschichten bekannt sind.

Linke: Asse ist "desolate Müllkippe"

Das Jugend-Umweltnetzwerk Niedersachsen wies darauf hin, dass Leukämie meist erst zehn Jahre nach einer starken Strahlenbelastung des Körpers eintritt. Arbeiter könnten in der als Forschungsbergwerk angelegten Grube mit radioaktiver Lauge oder Luft in Kontakt gekommen sein. Die Linksfraktion im Landtag schlug eine umfassende Krebsstudie vor, die auch umliegende Kommunen einbezieht. "Die Asse-Betreiber müssen beweisen, dass ihre desolate Atommüllkippe nicht die Ursache der Erkrankungen ist", forderte der Abgeordnete Kurt Herzog.

Die Bürgermeisterin der Samtgemeinde Asse, Regina Bollmeier (SPD) appellierte an die Erkrankten, die ärztlichen Unterlagen freizugeben. "Wir wissen nicht, wie alt die Betroffenen sind, wo sie gearbeitet haben, seit wann sie krank sind, seit wann sie in der Region wohnen. Es gibt viele wichtige Informationen, die wir einfach nicht wissen, und die müssen jetzt erhoben werden", sagte sie.

dpa