Korea: Kim Jong-il mischt die Karten neu
Die Lage in Korea ist angespannt. Nordkorea warnt die USA und den Süden vor einem geplanten Seemanöver im Gelben Meer. Am Dienstag hatte der Norden Granaten auf eine Insel im Süden geschossen, dabei kamen vier Menschen ums Leben. Südkorea hatte das Feuer erwidert. Steht die koreanische Halbinsel vor einem Krieg? Eine Einschätzung.
26.11.2010
Von Hans-Joachim Schmidt

Nordkorea griff am Dienstag mit Artilleriegeschützen rund 50 Minuten lang die südkoreanische Insel Yeonpyeong an, nachdem es vier Stunden zuvor per Fax bei den südkoreanischen Militärs gegen die Verletzung seiner "Hoheitsgewässer" protestiert hatte. Auf südkoreanischer Seite gab es leider vier Tote, davon zwei Zivilisten und 18 Verletzte, über die Opfer des Nordens ist nichts bekannt.

Südkoreanisches Militär hatte zuvor bei einer militärischen Übung von der Insel aus gen Süden auf das offene Meer geschossen. Die Insel liegt zwar innerhalb der 12-Meilenzone Nordkoreas, aber noch außerhalb der sogenannten Northern Limit Line. Das ist die Grenzlinie, die die UN nach dem Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea 1953 festgelegt hatte, die aber inzwischen von Nordkorea nicht mehr anerkannt wird. Schon bei früheren Manövern dort hatte Nordkorea protestiert, aber nie eine derartige Verletzung der Waffenstillstandsvereinbarung riskiert.

Keine Antwort auf UN-Gesprächsangebot

Das UN-Kommando lud kurz danach Nordkorea zu Gesprächen über die Klärung des Vorfalls und zur Diskussion deeskalativer Maßnahmen ein, bisher ohne Antwort. Nach der massiven innenpolitischen Kritik ist nun der Verteidigungsminister des Südens zurückgetreten. Außerdem stoppte Seoul alle Hilfslieferungen an den Norden, sagte das für nächste Woche geplante Treffen der Rot-Kreuz-Vertreter für die Planung des nächsten Familientreffens ab, stoppte den geplanten Abbau von Streitkräften und plant militärische Gegenschläge, um Pjöngjang vor weiteren Angriffen abzuschrecken.

Die USA haben als Bündnispartner Südkoreas den Angriff scharf verurteilt, mehr gemeinsames Training vereinbart und zugleich die Durchführung des gemeinsamen Seemanövers vom 28. November bis 2. Dezember in rund 110 Kilometer Entfernung von der Insel bekräftigt. Daran wird - wie im Vorjahr - auch eine US-Flugzeugträgerkampfgruppe teilnehmen.

Was sind die Motive Nordkoreas?

Die wirklichen Motive Nordkoreas sind unklar, es lässt sich nur begründet darüber spekulieren. Gerade weil es in der Vergangenheit nicht zu dieser Art von Eskalation gekommen ist, kann es jetzt nicht nur um den Streit über die Northern Limit Line gegangen sein. Jedoch ist es sicherlich eines der Motive. Der Norden hat damit seiner Forderung nach einer Grenzänderung drastisch Nachdruck verliehen.

Zudem kritisiert Pjöngjang ähnlich wie Peking schon lange die jährlichen bilateralen Seemanöver der südkoreanischen und amerikanischen Streitkräfte und will ihr Ende. Deswegen hält es jetzt die Spannungen weiterhin hoch. Außerdem war der Angriff willkommen, um von der eigenen Versorgungskrise abzulenken, die infolge der Überflutungen im Sommer eingetreten ist. Nach der Ernennung des dritten Sohns Kim Jong-un als künftiger Nachfolger von Kim Jong-il soll damit Stärke und Handlungsfähigkeit demonstriert werden und die Bevölkerung sich hinter dem neuen Führer scharen.

Nordkorea demonstriert atomare Stärke

Dazu passt, dass zuvor hochrangige ehemalige Mitarbeiter der US-Regierung sowie Wissenschaftler nach Nordkorea eingeladen wurden, um ihnen provokativ den Bau eines neuen Leichtwasserreaktors mit geplanten 25 bis 35 Megawatt sowie der dazugehörigen Urananreicherungsanlage mit immerhin etwa 2.000 nagelneuen Zentrifugen in Yongbyon vorzuführen. Nordkorea demonstriert damit, dass es trotz der Sanktionen durch die UN in der Lage ist, ein neues ziviles Nuklearprogramm und vermutlich parallel auch ein geheimes militärisches Anreicherungsprogramm in deutlich größerem Ausmaß und schneller zu betreiben, als es die meisten bisher erwartet hatten.

Zudem gibt es neue Aktivitäten auf dem Atomtestgelände Nordkoreas, die USA haben deshalb ein Spezialaufklärungsflugzeug in die Region verlegt. Mit diesen Maßnahmen will Pjöngjang einmal seine Verhandlungsposition für die anstehende Wiederaufnahme der Sechsmächtegespräche zwischen den USA, Japan, Russland, China, Nord- und Südkorea stärken und den Druck für ihre schnellere Wiederaufnahme erhöhen. Denn die USA setzen momentan auf das Konzept der "strategischen Geduld", weil erstens die Machtübergabe an den neuen jungen Führer Kim Jong-un noch nicht abgeschlossen ist (soll man jetzt etwas mit Kim Jong-il aushandeln, was der neue Führer dann sofort wieder in Frage stellen kann?) und man zweitens längerfristig auf eine stärkere Wirkung der UN-Sanktionen hofft.

USA müssen ihr Konzept überdenken

Nordkorea stellt mit seinen jüngsten provokanten Aktivitäten, deren Fortsetzung es androht, das amerikanische Konzept in Frage, denn weder China noch die USA haben ein Interesse daran, dass in der Region die Spannungen weiter wachsen. China muss die Nuklearisierung Südkoreas und Japans fürchten, sei es durch die Stationierung taktischer Kernwaffen der USA oder durch die Entwicklung eigener Atomwaffen.

Die USA wären zu stärkeren militärischen Anstrengungen gezwungen, die ihnen angesichts des eigenen Budgetdefizits und der Kosten ihres Engagements in Afghanistan und im Irak nicht gelegen kämen. Es bleibt folglich nur eine Verhandlungslösung und der baldige Beginn der Sechsmächtegespräche. Pjöngjang von diesen Gesprächen auszuschließen und es völlig zu isolieren, ist dabei keine realistische Option, solange China als Bündnispartner das Land unterstützt.

Lässt sich ein nukleares Nordkorea noch verhindern?

Das wirft die Frage nach den Zielen dieser Verhandlungen auf. Im Joint Statement vom 19. September 2005 haben sich die Sechs auf die grundlegenden Ziele der Gespräche verständigt, wobei alle Beteiligten unterschiedliche Ziele favorisieren. Die drei westlichen Staaten wollen in erster Linie die nukleare Abrüstung des Nordens und bieten dafür Nahrungsmittel-, Wirtschafts- und Finanzhilfen an. Erst dann wollen sie über einen Friedensvertrag, die Normalisierung der Beziehungen, ein regionales Sicherheitskonzept und ein ziviles Nuklearprogramm reden.

Umgekehrt will Nordkorea vorrangig als Nuklearmacht anerkannt werden, einen Friedensvertrag und die Normalisierung der Beziehungen sowie später Teile seines Nuklearwaffenprogramms für gewisse Gegenleistungen zur Disposition stellen. Diese Ziele sind so nicht kompatibel und die Beteiligten müssen jetzt nach der veränderten Lage neue Kompromisse suchen. Die drei westlichen Staaten werden ihr Ziel der Abrüstung nicht aufgeben. Jedoch stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, vorrangig darauf zu setzen, da das die gegenwärtige und künftige Führung im Norden nicht will.

Sollte es deshalb nicht besser um die Einhegung der nuklearen Programme Nordkoreas gehen, was implizit (aber nicht explizit) auf die vorläufige Anerkennung als Nuklearmacht hinausläuft? Nordkorea muss aber zuvor seine provokante Politik einstellen, anders können die Sechsmächtegespräche nicht beginnen. Solange allerdings Nordkorea sich wegen der Ineffizienz seines Systems nicht selbst versorgen kann, muss in gewissen Zeitabständen weiter mit Vorfällen dieser Art gerechnet werden.


Dr. Hans-Joachim Schmidt hat Politikwissenschaft und Germanistik studiert. Seit 1982 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt a.M. und forscht unter anderem zu Nord- und Südkorea.