Auch der Prophet ist gegen Gewalt an Frauen
Am 25. November feiern Frauengruppen in aller Welt den Gedenktag "Nein zu Gewalt an Frauen". Heute werden in Deutschland an fast 6000 Orten Flaggen mit dem Schriftzug "Frei leben – ohne Gewalt" gehisst – zum ersten Mal auch vor einer Moschee. Die türkisch-islamische Kulturgemeinde Grünstadt in Rheinland-Pfalz beteiligt sich an der Aktion.
25.11.2010
Von Anne Kampf

An der Moschee wurde extra ein Fahnenmast installiert, um heute Nachmittag die Aktionsflagge hissen zu können. Sie ist drei Meter lang, 1,20 Meter breit und zeigt auf blauem Hintergrund die Silhouette einer Frau. Darüber und darunter die Aufschrift: "Frei leben – ohne Gewalt". Tausende solcher Flaggen wehen heute vor Rathäusern, Ministerien, Privathäusern und Arztpraxen – eine vor der Moschee in Grünstadt.

Die Idee hatte Andrea Breßler, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Grünstadt: "Unser Bundespräsident Herr Wulf hat gesagt, der Islam gehört zu Deutschland. Also bin ich einfach zur Moschee gegangen", erzählt sie – und freut sich über die Offenheit, mit der sie empfangen wurde: "Die Tür war nur angelehnt." Sowohl der Sprecher des Integrationsrates, als auch der Imam der Moschee und der Vorsitzende der türkisch-islamischen Kulturgemeinde – alle stimmten ihrem Vorschlag sofort zu, an der Moschee die Anti-Gewalt-Flagge zu hissen.

Gewalt meist im eigenen Haus

Seit 1981 veranstalten Frauengruppen in aller Welt den Aktionstag "NEIN zu Gewalt an Frauen" immer am 25. November. Der Tag wurde gewählt, um an die drei Schwestern Mirabal zu erinnern, die am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik vom militärischen Geheimdienst nach monatelanger Folter getötet wurden. Sie hatten sich im Untergrund an Aktivitäten gegen den tyrannischen Diktator Trujillo beteiligt – ihr Mut gilt als Symbol für das Eintreten gegen Unrecht.

Das Schicksal der Schwestern Mirabal vor 50 Fahren war ein Fall von politisch motivierter Gewalt gegen Frauen. Dagegen liegt der Schwerpunkt der Aktion heute auf dem Thema "häusliche Gewalt". "Im eigenen Heim leben Frauen am gefährlichsten", heißt es von der Organisation terre des femmes. Häusliche Gewalt sei die häufigste Ursache von Verletzungen bei Frauen – "häufiger als Verkehrsunfälle und Krebs zusammen genommen."

Der eigene Partner oder männliche Verwandte sind die Täter. Übergriffe passieren in engen sozialen Beziehungen, in den eigenen Schlafzimmern. Dabei spielen Bildung, Einkommen, Alter und Religionszugehörigkeit keine Rolle, so terre des femmes. Die Frauen sind in der Regel mit ihrem Problem allein, können sich höchstens in Frauenhäuser flüchten.

Frauen der Moscheegemeinde machen mit

Heute erklären sich Frauen in aller Welt solidarisch mit denen, denen Gewalt angetan wurde oder wird. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen gibt es heute Vorträge, Lesungen, Ausstellungen und Filmvorführungen, außerdem Selbstbehauptungskurse für Frauen, Fachtagungen und Podiumsgespräche. Am auffälligsten – weil für jeden sichtbar – sind allerdings die Flaggen. Um sie herum versammeln sich Frauen, die sonst nicht unbedingt in der Öffentlichkeit zu sehen sind.

Auch die Frauen der Moscheegemeinde machen gern mit, schon zum ersten Vorbereitungstreffen erschienen sie zahlreich. "Das ist so üblich", erklärt der Vorsitzende Aden Karacam: "Bei interessanten Sachen kommen immer viele". Er selbst war eher überrascht darüber, dass die Grünstädter Moschee die erste ist, die sich am Aktionstag "Nein zu Gewalt an Frauen" beteiligt. "Mit Religion hat das Thema wenig zu tun", sagt er – und ist froh, dass die Frauen aus seiner Gemeinde bei der Gleichstellungsbeauftragten eine Anlaufstelle haben, falls sie eine brauchen.

Ob manche Türkinnen in seiner Gemeinde aktuell unter häuslicher Gewalt leiden, kann er nicht sagen. Thematisiert wird es nicht. Die Gemeinde engagiert sich zwar mit Informations- und Bildungsangeboten zu verschiedenen Themen – "Gewalt an Frauen" gehörte aber bisher nicht dazu. Das kann heißen, dass es Probleme wie Zwangsverheiratung oder Familienehre in Grünstadt nicht gibt – es kann aber auch bedeuten, dass sie verschwiegen werden.

Auch gegen Zwangsheirat und Ehrenmord

Zumindest bis heute. Heute sind die türkischen Frauen buchstäblich auf die Straße gegangen – und rund 50 andere mit ihnen, darunter Mitgleider der Moschee, Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinde und Politiker aus Stadt und Landkreis. Unterstützung kam auch von Dr. Houaida Taraji, der Frauenbeauftragten des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

Sie konnte zwar nicht selber kommen, hat aber ein theologisch begründetes Grußwort nach Grünstadt geschickt. Darin heißt es: "Das gemeinschaftliche Hissen der Fahne vor einer Moschee ist ein wichtiges Zeichen, dass wir gemeinsam Gewalt an Frauen stoppen müssen. Als Muslima und Frauenbeauftragte des Zentralrates der Muslime verurteilen wir Gewalt gegen Frauen aufs Schärfste."

Dann zitiert sie den Propheten Mohammed: "Unter den Gläubigen zeigen diejenigen den vollkommensten Glauben, die den besten Charakter besitzen. Und die besten unter euch sind diejenigen, die ihre Frauen am besten behandeln." Die Männer der Moscheegemeinde haben das heute Nachmittag gehört. "Die Fahne steht auch gegen Zwangsheirat und Ehrenmord", sagt Andrea Breßler. "Das weiß der Imam und alle anderen". Auch der Vorsitzende Aden Karacam ist überzeugt: "Die stehen alle dahinter. Nur aus Spaß höre ich manche sagen: Wir wollen auch was gegen Gewalt an Männern tun."


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.