Das ist lecker. Ket Sokhan hat Bobor Sandek serviert, ein typischer kambodschanischer Nachtisch aus Linsen, Sago, Palmzucker und Kokoscreme. "Ich bin die beste Dessertköchin bei uns im Dorf", sagt sie selbstbewusst. Die Desserts sind das Geschäft der 45-Jährigen. Eine Portion kostet 500 Riel, umgerechnet 8 Cent.
Zwei Millionen Tote unter der Schreckensherrschaft
Ket Sokhan und ihr Mann Iv Sem leben in der Provinz Kampot in dem Dörfchen Koh Tromoung in der Provinz Kampo. Bis zur Grenze zu Vietnam sind es nur 15 Kilometer. Koh Tromoung ist ruhig, der Leben fließt langsam dahin, wird noch vom Lauf der Natur bestimmt. In loser Folge stehen entlang der unbefestigten Straße aus roter Erde unter Palmen auf Stelzen die Häuser der Dörfler, Kinder spielen im Schatten, mal braust ein Jugendlicher auf einem Moped über den staubigen Weg, dann radelt eine ältere Frau gemächlich am Haus von Ket Sokhan vorbei.
Iv Sem ist ein ruhiger Mensch, der das Reden größtenteils seiner selbstbewussten Gattin überlässt. Jedoch lässt seine Mimik keinen Zweifel daran, dass sie auch in seinem Sinn spricht. Die beiden strahlen eine Vertrautheit aus, die nur in langen Jahren einer ehrlichen Partnerschaft wachsen kann. Sie sind ganz normale Bauern, so wie die meisten ihrer Landsleute. Iv Sem pflanzt hinter dem Haus Reis an. Enten, Schweine und eine Kuh tragen mit Eiern, Fleisch und Milch zum Lebensunterhalt der Familie bei.
Auch mit ihrer Lebensgeschichte sind sie ganz normale Khmer. Wie so ziemlich jeder in ihrer Generation haben sie unter der drei Jahre, acht Monate und 20 Tage dauernden Schreckensherrschaft der extrem-maoistischen Roten Khmer gelitten. Etwa zwei Millionen Kambodschaner sind zwischen 1975 und 1979 durch Mord, Folter, Zwangsarbeit und Hunger ums Leben gekommen. Keh Sokhan ist eine Nebenklägerin im "Fall 2" gegen vier ehemalige Führungspersönlichkeiten der Roten Khmer, der im kommenden Jahr vor Tribunal verhandelt wird. "Ich will wissen, was passiert ist und warum es passiert ist", sagt sie.
Erstmals Nebenkläger zugelassen
Mit der Zulassung von Nebenklägern hat das aus internationalen und kambodschanischen Richtern und Staatsanwälten zusammengesetzte und von den Vereinten Nationen sowie Geberländern wie Deutschland unterstützte Tribunal, das offiziell "Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia" (ECCC) heißt, in der Geschichte internationaler Tribunale juristisches Neuland betreten. Weder in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gegen die Nazis als "Mutter aller internationalen Tribunale" noch in den Tribunalen in Ruanda oder Sierra Leone hatten die Opfer von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Möglichkeit, als gleichberechtigte Partei aufzutreten und so die Angeklagten sie zu zwingen, sich ihren Opfern und deren Angehörigen direkt zu stellen.
Ket Sokhan und ihr Mann sind Opfer einer Verbrechenskategorie der Roten Khmer geworden, die erst durch die Berliner Menschenrechtsanwältin Silke Studzinsky (l.) an die Öffentlichkeit gekommen ist: Gender Based Crimes (GBC) oder Verbrechen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit.
Studzinsky, die als Friedensfachkraft des "Deutschen Entwicklungsdienst" (DED) im Programm des "Zivilen Friedensdienst" (ZFD) "Versöhnung und Gerechtigkeit im Umfeld des Khmer Rouge Tribunals" Nebenkläger vor dem Tribunal in Phnom Penh vertritt, hat die GBC von Zwangsehen bis Vergewaltigung beim Studium von Akten, Dokumenten und historischen Unterlagen "entdeckt". "Die waren im Prinzip schon bekannt", sagt Studzinsky. "Mir hat jemand berichtet, der für das Khmer-Rouge-Tribunal der Vietnamesen 1979 an den Ermittlungen beteiligt war: 'Wir wussten davon, sind dem aber nicht nachgegangen.' Derselbe Fehler wurde jetzt wieder begangen."
Ehe auf Weisung des Kommandanten
Ket Sokhan und Iv Sem sind von den Roten Khmer zwangsverheiratet worden. "Drei Tage vor der Hochzeit wurde mir befohlen, mich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit einzufinden. Ich wusste, was das bedeutete. Aber was sollte ich machen? Wenn ich mich geweigert hätte, wäre ich umgebracht worden." 30 Paare wurden an jenem Tag im Juni 1978 zwangsweise verheiratet. Ihre Ehepartner wurden ihnen vom örtlichen Kommandanten der Roten Khmer zugewiesen. Immerhin kannte Ket Sokhan ihren Mann in spe schon, denn der damals 27-jährige stammte aus dem gleichen Dorf.
Nach einer zweistündigen ideologischen Indoktrination folgte sang- und klanglos die Eheschließung. "Es gab keine Zeremonie, kein Hochzeitsessen, keine Segnung durch Mönche, und unsere Familien durften auch nicht dabei sein", empört sich Ket Sokhan noch heute. Nach der Hochzeit musste die Ehe vollzogen werden und Spione der Roten Khmer schauten versteckt zu. Sexverweigerung war ausgeschlossen. "Sie hätten uns sonst umgebracht", sagt Iv Sem.
Hunderttausende Zwangsverheiratungen
Die Eheleute sind kein Einzelschicksal. Zu Hunderttausenden wurden die Kambodschaner von den Khmer Rouge zwangsverheiratet. Allerdings beruhen die Zahlen auf Schätzungen. Statistiken aus dieser Zeit fehlen ebenso wie der "Heiratsbefehl" der Rote-Khmer-Führung. Aber Studzinsky ist sich sicher: "Ohne Anordnung von oben hätten diese systematisch erzwungenen Massenhochzeiten nicht stattfinden können." Aufgrund fehlender Dokumente ist auch unklar, welchen Zweck genau die Roten Khmer mit den Zwangsehen verfolgten haben. Vermutlich habe man damit das Ziel der Schaffung des "neuen, ideologisch zuverlässigen Menschen" verfolgt, vermutet die Anwältin.
Auch die 69-jährige transsexuelle Sou Sotheavy (l.) ist eine Nebenklägerin. "Jetzt habe ich endlich die Hoffnung geschöpft, die Wahrheit über die Roten Khmer zu erfahren." Aber sie ist auch enttäuscht darüber, dass nur die Zwangsverheiratungen, nicht aber Vergewaltigungen und Gräueltaten gegen Homo- und Transsexuelle von dem Tribunal als GBC verfolgt werden.
Sie erinnert sich mit Grauen an die Prügel und die Vergewaltigungen, die sie durch die Schergen der Roten Khmer erdulden musste. Dreimal war sie im Gefängnis. "Ich musste Eisenfesseln an den Füßen tragen." Sie erzählt, wie sie für karge Mahlzeiten Gefängniswärtern sexuell zur Verfügung stehen musste. "Wehren konnte ich mich nicht. Sie hatten Gewehre und Pistolen."
Feinde als Freiwild
Studzinsky kritisiert die Entscheidung des Tribunals, sexuelle Gewalt nur im Kontext der Zwangsehen anzuklagen. Die Begründung, offiziell hätten die Roten Khmer Sexualstraftaten verfolgt, will sie nicht gelten lassen. "Wer zum Feind erklärt wurde, war Freiwild und konnte misshandelt und auch natürlich vergewaltigt werden", sagt Studzinsky. Die Führung habe also wissen können, dass durch die "Feinderklärung" diese Verbrechen begangen und begünstigt worden seien. "Sie haben aber diese Straftaten weder verfolgt noch verhindert und müssen deshalb für diese Taten zur Rechenschaft gezogen werden."
Keth Sokhan und Sou Sotheary sind beide Opfer der Roten Khmer. Sie sind Nebenklägerinnen vor Gericht. Was sie aber noch gemeinsam haben, ist der Mut, über das, was sie erleben und erleiden mussten, zu sprechen. "Wir haben mit unseren drei Kindern darüber gesprochen", sagt Keth Sokhan. Das ist nicht selbstverständlich in Kambodscha, wie Judith Strasser weiß. Die Psychologin arbeitet als Friedensfachkraft des ZFD bei der kambodschanischen "Transcultural Psychosocial Organization" (TPO) und ist zuständig für die Organisation und Koordination der psychologischen Betreuung von Zeugen und Nebenklägern.
Die Grenzen zwischen Tätern und Opfern können fließend sein
"Erinnern tut weh. Viele haben Angst, sich dem Schmerz zu stellen", sagt Strasser. Angst, weil sie nicht wissen, wohin diese Erinnerungsreise führt, Angst aber auch vor Repressionen. So mancher Roter Khmer ist heute - je nach Sichtweise - noch oder wieder in Amt und Würden. Mehr noch: Es gibt keine klaren Trennlinien zwischen Opfer und Täter. Ein kommunistischer Kader konnte in den ideologischen Säuberungswellen der Roten Khmer schnell zum Opfer werden. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte werde zudem durch kulturelle Faktoren erschwert, so Strasser: "Sich als Subjekt zu definieren, hat in der kambodschanischen Kultur, die sich über Beziehung zu Ahnen, zum Clan und zum Dorf sowie über Karmalehre des Buddhismus definiert, keine Tradition."
Für Ket Sokhan geht es bei ihrer Nebenklage ums Prinzip. Sie ist sich bewusst, dass die Verteidiger der Angeklagten sagen werden: "Ihr seid ja immer noch zusammen. Das mit der Zwangsverheiratung kann ja folglich so schlimm nicht gewesen sein." Ket Sokhan findet, dass es keine Rolle spielt, warum sie und Iv Sem noch immer verheiratet sind und drei Kinder haben. Für sie zählt nur eins: "Wir sind damals nicht gefragt worden. Wir wurden durch Zwang verheiratet. Das war falsch."
Iv Sem unterstützt seine Frau ohne Einschränkung, auch wenn er selbst keinen Antrag auf Nebenklägerschaft gestellt hat. Iv Sem sagt lächelnd: "Wenn sie gewinnt, dann ist das auch mein Sieg."
Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.