Beim Spiel mit der Angst gibt es keine Gewinner
Angebliche Anschlagsdrohungen, neue Forderungen nach Vorratsdatenspeicherung, Ideen zur Umgestaltung der Sicherheitsbehörden: Was ist von der aufgeheizten Anti-Terror-Diskussion zu halten?

Als der deutsche Innenminister Thomas de Maizière vor kurzem eine erhöhte Sicherheitsstufe ausrufen ließ, waren selbst Kritiker schärferer Sicherheitsmaßnahmen überrascht von der unaufgeregten Art und Weise, mit der die Bedrohungslage dargestellt wurde. Sie bestätigte den qualitativen Wechsel vom Angstmacher Schäuble hin zum besonnenen Innenpolitiker de Maizière.

Doch dieses Gefühl hielt nicht lange an. Nicht nur, dass die angeblichen Anhaltspunkte sich als fragwürdig herausstellten; die Bundesregierung hielt es zudem nicht für notwendig, die entstandene Welle der Angst wieder einzudämmen und Rufe nach neuen Sicherheitsmaßnahmen zurückzuweisen. Vielmehr schien es dem Innenministerium wohl ganz recht zu sein, dass die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren sowie neue Befugnisse für BKA und BND angesichts der erschreckenden Bilder von schwer bewaffneten Bundespolizisten wieder Fahrt bekommen hatte.

Auf dem Weg zum zentralen Geheimdienst

Dass solche Forderungen im Widerspruch zu den Äußerungen de Maizères stehen, die vorhandenen Ermittlungsergebnisse und bereits ergriffenen Maßnahmen hätten Wirkung gezeigt, scheint dabei niemanden zu stören. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die Situation mehr und mehr zum peinlichen Offenbarungseid in der Sicherheitsdebatte wird.

So erscheint es fast naiv, den Verantwortlichen einen ausgewogenen und an Fakten orientierten Umgang mit der Bedrohungssituation zu unterstellen. Statt sich der Bewältigung der akuten Herausforderungen zu stellen, wird offenbar hinter den Kulissen daran gearbeitet, (wie Spiegel Online und andere berichten) die Grundstrukturen der Polizei- und Sicherheitsbehörden umzuwerfen und die störenden Zöpfe der Vergangenheit abzuschneiden. Im Handumdrehen sollen Polizei und Geheimdienste zentralisiert und durch Teile der schrumpfenden Bundeswehr ergänzt werden. Die Aufgabenteilung zwischen Zoll-, Kriminal- und Polizeibehörden wird über den Haufen geworfen und, richtig, neue Befugnisse sollen sie auch noch bekommen.

Die Bedrohungsszenarien kommen zur rechten Zeit

Doch was, bitteschön, ist der Grund für alle diese Vorschläge? Welche Statistiken, welche Zahlen und Fakten sprechen dafür? Wo sind tatsächliche Ermittlungslücken aufgetreten? Auf diese Fragen gibt es nun schon seit Jahren keine Antwort. Lediglich die Angst in der Bevölkerung vor immer neuen Bedrohungssituationen und Terroranschlägen wird stetig geschürt.

Mitten in die sicherheitspolitischen Auseinandersetzungen treten derweil Hinweise zu geplanten Anschlägen quasi im Laufschritt ans Tageslicht. Das ist nicht nur verdächtig, es ist auch verantwortungslos. Denn zu allem entschlossene Terroristen lassen sich von solchen Warnungen nicht einschüchtern, die Bevölkerung beeindrucken sie allerdings schon. Wer in Zeiten von Bedrohungen die Gesetze ändern und sogar die Verfassungsgrundlagen des Rechtsstaates angreifen will, der arbeitet Hand in Hand mit denjenigen, die sich offen gegen die Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie wenden.

Tatsächliche Hindernisse für die Ermittler interessieren nicht

Die aktuelle Debatte über schärfere Gesetze zeigt deutlich, dass eine ehrliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Ursachen von Ermittlungsdefiziten nicht stattfindet. Etwa dass manche Polizeibehörden noch nicht einmal einen Computer mit funktionierendem Internetzugang oder genügend Personal für die Bearbeitung von Anfragen anderer Behörden haben. Derlei Defizite lassen sich nicht mit Überwachungszentralen und schärferen Befugnissen beseitigen.

Es braucht vielmehr eine ernsthafte und nüchterne Auseinandersetzung mit der Arbeit der Polizei- und Justizbehörden vor Ort. Die EU-Kommission hat dies nun in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung in Angriff genommen. Aber statt sich an der Sammlung aussagekräftiger Evaluationsergebnisse zu beteiligen, wagt die Bundesregierung das Spiel mit der Angst. Bei diesem Spiel kann es keine Gewinner geben.


Jan Philipp Albrecht ist Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und dort Mitglied im Innen- und Rechtsausschuss. Der 27-jährige Jurist war maßgeblich an der Ablehnung des ersten Abkommens der EU zum Austausch sogenannter Swift-Bankdaten mit den US-Behörden beteiligt und ist zuständig für die Aushandlung eines generellen Datenschutzabkommens mit den USA.