Eine dynamische 80-Jährige lud schon zur Diskussion nach Berlin: Ursula Lehr, die erste deutsche Gerontologin, die Kanzler Kohl 1988 von der Universität weg als Familienministerin berief. Jetzt schmiedet sie als neue Vorsitzende die "Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e. V." (BAGSO) mit viel Elan zur "Lobby für Ältere" um. Fast 400 Interessierte kamen am 8. November zum Fachtag unter dem Thema "Altersbilder und Engagement in der Zivilgesellschaft". Auch ihre Nachfolgerin Ministerin Dr. Kristina Schröder, die vom Alter her ihre Enkelin sein könnte, hielt ein Grußwort. Sie lobte die BAGSO, die über ihre Mitgliedsorganisationen 13 Millionen Menschen vertritt, als wichtigen Partner der Bundesregierung.
Die klare Hauptthese von Tagung und Bericht: Alter und Engagement sollen eng zusammengehören. Ursula Lehr: "Wir wollen eine echte Aufgabe, wir Alten, wir brauchen keine Beschäftigungstherapie." Professor Kruse, der schon Anfang 2010 mit einer EKD-Kommission die Orientierungshilfe "Im Alter neu werden können" veröffentlicht hatte, fasste den Stand seiner Wissenschaft zusammen: "Die Ressourcen Älterer zu nutzen, trägt zu längerer Leistungsfähigkeit bei." Gefährlich sei es nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben, wenn der ältere Mensch ohne eine klare Rolle verunsichert und dadurch anfällig würde für Altersbilder, welche - "wie in der Treppenlift-Werbung" - ihn als hilfsbedürftig zeigen würden.
"Menschen nicht zum Ruhestand zwingen"
Kommissionsmitglied Prof. Dr. Thomas Klie von der Evangelischen Fachhochschule Freiburg, der im Sommer 2010 sechs Monate in Namibia geforscht und gelehrt hat, traf auch dort schon auf das neue "Aktivitätsparadigma" im Alter statt des Rückzugs. Und Simone Rethel-Heesters, die zwar als Schauspielerin und Autorin vorgestellt wurde, aber jedem vor allem als Ehefrau des für seine Fitness im hohen Alter bestaunten Schauspielers Johannes Heesters (106) ein Begriff war, warnte: "Dass man Menschen zum Ruhestand zwingt, ist ein ganz schrecklicher Zustand, den man abschaffen muss, damit man nicht am Ende kranke, dahinsiechende Greise hat." Entsprechend dem Motto von Ursula Lehr, das über der Tagung stand: "Es kommt nicht darauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird."
Ein Ja zum aktiven Alter bedeute aber kein Ja zu Senioren als Ersatz für Zivildienstleistende, mahnte die alte Exministerin mit Blick auf ihre junge Nachfolgerin. Wie die "caring community", die fürsorgliche Gesellschaft, entwickelt werden kann, ohne die der demografische Wandel nicht bewältigt werden kann, hatte laut Prof. Kruse die Kommission stark beschäftigt. Und er betonte gleich, dass man die Daseinsfürsorge des Staates nicht gegen das freiwillige Engagement ausspielen wolle.
Dieter Hackler, Ministerin Schröders Abteilungsleiter für "Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege und Engagementpolitik" und zuvor langjähriger Bundesbeauftragter für den Zivildienst, betonte dagegen aus seiner Sicht die "riesigen Chancen" für den Generationenzusammenhalt durch einen neuen "Freiwilligendienst" für alle Altersgruppen. Er deutete an, die mit einem Bundesmodellprojekt aufgebauten 500 Mehrgenerationenhäuser vielleicht durch dieses Projekt sichern zu wollen.
Schon die Jungen machen sich Sorgen
"Wie wollen wir alt werden?" Diese Frage beantworteten auch drei junge Leute auf dem Podium, die wegen ihres ehrenamtlichen Engagements eingeladen worden waren. Soner Süral, Geschäftsführer eines türkischen Studenten- und Akademikervereins in Berlin, machte sich erst einmal Luft. Die durch Sarrazin ausgelöste Debatte wecke bei ihm Zweifel, ob er in Deutschland alt werden wolle - obendrein unter dem ständigen Rechtfertigungsdruck, warum er so gut Deutsch spreche oder etwa warum seine Mutter oder Schwester ein Kopftuch trage.
Shahrzad Dalvandi, vor sechs Jahren aus dem Iran gekommen und heute Schülerin der Berliner Anna-Freud-Schule, äußerte schlicht ihre Sorge um Deutschland: Es gebe zu wenige Kinder und damit zu wenige Menschen, die dann "auf ihre Eltern im Alter aufpassen können". Roland Richtstein vom Verein Jugendpresse Deutschland und zurzeit im Freiwilligen Sozialen Jahr, erntete Beifall mit seinem Wunsch nach Selbstbestimmung im Alter. Er fühlte sich in einer Sandwich-Rolle: "Ich werde finanziell belastet, soll Kinder kriegen, meine Eltern pflegen - wie kann ich selbst im Alter menschenwürdig leben?"
Zum 1. Dezember will Ministerin Schröder mit einem Programm "Alter neu denken" eine öffentliche Debatte des Berichts starten.
Katharina Weyandt ist freie Journalistin in Chemnitz.