Breite Zustimmung zu Lockerung des Kondomverbots
Die Lockerung des Kondom-Verbots durch Papst Benedikt XVI. trifft auf große Zustimmung. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Deutsche Aidshilfe sowie die kirchenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen begrüßten die Worte des katholischen Kirchenoberhaupts.

Benedikt XVI. spricht sich in einem Interviewbuch erstmals offiziell für die Verwendung von Kondomen in Einzelfällen bei der Aidsbekämpfung aus. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke bezeichnete dies als Bestätigung der katholischen Morallehre. Es sei gut, dass der Papst das jetzt so deutlich gesagt habe, erklärte Jaschke am Montag im Deutschlandfunk. In bestimmten Situationen könne das Kondom der "Anfang der Moralität" sein, sagte Jaschke. Benedikt XVI. habe sich bereits früher entsprechend geäußert, allerdings nicht so deutlich und offiziell wie jetzt in dem Buchinterview. Die Papstworte führten daher auch zu einem Stück Klärung und Befreiung.

Jaschke warnte zugleich davor, Sexualität zu einer "technischen Sache" verkommen zu lassen. Sexualität müsse vielmehr immer mit Liebe und Partnerschaft in Verbindung gebracht werden. WHO-Generalsekretärin Margaret Chan bezeichnete die Papstworte am Montag in Berlin als "guten Anfang". Tino Henn, Vorstandsmitglied der Deutschen Aidshilfe sprach von einem "wichtigen Schritt" im Kampf gegen HIV und Aids. Es sei jedoch bedauerlich, dass der Papst das Kondomverbot nicht generell aufgehoben habe.

Buch erscheint am Mittwoch

Das Interviewbuch "Licht der Welt" des Journalisten Peter Seewald erscheint am Mittwoch im Freiburger Herder-Verlag. Darin spricht der Papst von "begründeten Einzelfällen" etwa bei Prostituierten, in denen Präservative nützlich seien. In diesen Fällen könnten Kondome ein "erster Schritt zu einer Moralisierung" sein. Das Buch geht auf Gespräche zurück, die Seewald Ende Juli mit Benedikt XVI. in dessen Sommerresidenz in Castel Gandolfo führte. Bislang hatte sich der Heilige Stuhl trotz der Aidsepidemie stets gegen Präservative ausgesprochen.

In der deutschen Originalfassung des Buches ist von männlichen Prostituierten die Rede, in einer von der Vatikanzeitung "Osservatore Romano" am Samstag verbreiteten Übersetzung hingegen von weiblichen. Die unterschiedlichen Fassungen hatten Spekulationen darüber ausgelöst, ob die eingeschränkte Billigung von Präservativen allein für männliche Prostituierte gilt. Vatikansprecher Federico Lombardi sagte, es gehe dem Papst weniger um das Geschlecht von Prostituierten, sondern um das "gravierende Risiko für das Leben des anderen".

"Hinwendung zur Realität"

Der Papst habe sich als oberster Seelsorger der katholischen Kirche der Not der Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit zugewandt, betonte die Kirchenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Flachsbarth. "Vielleicht ist das der Beginn einer Diskussion über die Sexualmoral in der katholischen Kirche." Auch die kirchenpolitischen Sprecher von FDP und Grünen, Stefan Ruppert und Josef Winkler, sprachen von einer "Hinwendung zur menschlichen Lebensrealität". Ein wirklicher Fortschritt sei "aber erst erreicht, wenn der Papst sich auch in der Lehrmeinung zu einer Lockerung bekennt", sagte Winkler.

Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock forderte eine ehrliche und unverkrampfte Debatte darüber, "was eine gute und lebbare Sexualität ausmacht". Das Erleben von Sexualität sei eines der elementarsten menschlichen Bedürfnisse. "Man kann es nicht durch uneinlösbare Gebote ausschalten. Es kann nur darum gehen, dass Menschen dieses Grundbedürfnis verantwortlich gestalten", sagte der Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Die katholische Basisbewegung "Wir sind Kirche" erklärte, bisher sei nicht abzusehen, dass die Papstäußerung eine Kehrtwende in zentralen theologischen, pastoralen und sittlichen Fragen bringe. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn dadurch eine innerkirchliche Diskussion ausgelöst würde.

Ein Wandel könnte beginnen

Nach Ansicht des katholischen Moraltheologen Dietmar Mieth könnte Benedikt XVI. mit der Abkehr vom strikten Kondomverbot einen vorsichtigen Wandel in der Kirche angestoßen haben. Inhaltlich habe der Papst zwar lediglich auf eine Ausnahme vom Kondomverbot hingewiesen, das in der katholischen Moraltheologie seit mehr als 40 Jahren anerkannt sei. Aber dass mit Benedikt XVI. nun erstmals ein Papst öffentlich auf diese Ausnahme hinweise, sei bemerkenswert. "Das kann man durchaus als ein bewusstes Zeichen des Papstes sehen."

In der Enzyklika "Humanae Vitae", mit der Papst Paul VI. 1968 das Kondomverbot begründete, werde lediglich die Empfängnisverhütung untersagt, sagte Mieth. Im Kampf gegen Aids diene ein Kondom aber nicht der Empfängnisverhütung, sondern dem Schutz vor einer Übertragung der Krankheit. "Das mag man für einen abstrakten, realitätsfernen Gedanken halten - unlogisch ist er nicht", sagte Mieth. In der katholischen Moraltheologie sei die Unterscheidung zwischen diesen beiden Funktionen eines Kondoms längst anerkannt. Dass die Päpste bislang ausschließlich argumentiert hätten, nur die katholische Sexualmoral könne die Ausbreitung von Aids stoppen, stehe dazu nicht im Widerspruch.

Lebensschutz im Vordergrund

Auch in seiner jüngsten Äußerung habe der Papst ja darauf hingewiesen, dass man Aids vor allem durch eine "Vermenschlichung der Sexualität" begegnen solle, sagte der in Freiburg lehrende Mieth weiter. Völlig neu sei allerdings, dass der Papst nun die Tatsache zur Kenntnis nehme, dass Aids allein mit der katholischen Sexualmoral nicht zu bekämpfen sei. "Und er gesteht zu: Wenn es schon zu einer Sexualbeziehung kommt, die von der Kirche nicht gutgeheißen wird, dann sollte wenigstens der Lebensschutz eine Rolle spielen."

epd/dpa