"Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe"
In der Justizvollzugsanstalt Mannheim haben Gespräche über Gerechtigkeit und Nächstenliebe eine andere Dimension. Der Gefängnisseelsorger Gerhard Ding will Häftlinge für Neuanfang stärken.
22.11.2010
Von Ralf Schick

Gleich hinter den hohen Mauern stehen Wohnhäuser, eine Gaststätte mit dem Namen "Knackpunkt" liegt um die Ecke. Die Justizvollzugsanstalt Mannheim ist mitten in der Stadt, viele Menschen nehmen täglich den Weg vorbei an den Gefängnistoren zur Arbeit. "Die Freiheit liegt nur wenige Meter von hier, für manche aber ist sie Jahrzehnte entfernt", sagt der evangelische Gefängnisseelsorger Gerhard Ding beim Blick aus dem Knastfenster im vierten Stock.

Für die "Zeit danach" vorbereiten

Zu seinem Schreibtisch und zum Altar kommt man erst durch Stahltüren und vorbei an Mauern, die mit Stacheldraht bewehrt sind - Alltag in der Gefängnisseelsorge. Ding ist einer von rund 270 evangelischen Seelsorgern in Deutschland, die in etwa 250 Strafanstalten arbeiten. Die katholische Kirche stellt nahezu genau so viele Gefängnisseelsorger.

Zur Arbeit hinter Gittern fühlt Gerhard Ding sich berufen: "Hier bin ich nahe bei den Menschen, ganz nah", sagt er. Nein, Mitleid will er nicht erzeugen. "Ich weiß genau, warum die Leute hier leben und arbeiten: weil sie schwere Straftaten begangen haben". Und doch will er für die Häftlinge da sein und sie für die "Zeit danach" vorbereiten und aufbauen.

In vielen Gesprächen, "vor allem am Abend und in den sonntäglichen Gottesdiensten", hat er die Erfahrung gemacht, "dass ich hier nicht so wie draußen in einer normalen Gemeinde von Gerechtigkeit und Nächstenliebe sprechen kann: Das bekommt hier drinnen eine ganz andere Dimension", sagt Ding.

Auch für das Personal da

"Die Seelsorger werden als Ansprechpartner gebraucht", weiß Monika Zeilfelder-Löffler, die in der badischen Landeskirche für die Organisation der Gefängnisseelsorge zuständig ist. Vor allem in kritischen Situationen, etwa wenn die Gefangenen neu in Haft kommen oder vor der Urteilsverkündung stehen, machten die Insassen von dem seelsorgerlichen Angebot Gebrauch, sagt Zeilfelder-Löffler.

Aber auch das Anstaltspersonal wende sich an die Theologen, wenn sie unter hohem Druck stünden. So auch im Fall prominenter Insassen in Mannheim wie einst des Vaters der Tennisspielerin Steffi Graf oder jüngst des Wettermoderators Jörg Kachelmann, dem schwere Vergewaltigung vorgeworfen wird. Wenn Prominente mehrere Monate lang in Untersuchungshaft sitzen, stresst vor allem der Medientrubel die Mitarbeiter der Anstalt.

"Mal zusammen beten?"

Beim Rundgang durch "die kleine Stadt", wie Seelsorger Ding die größte Justizvollzugsanstalt in Baden-Württemberg bezeichnet, ist ein schwerer Bund mit vielen großen Schlüsseln sein ständiger Begleiter. Niemals darf der vollbärtige Theologe vergessen, eine eben geöffnete Tür wieder abzusperren. "Der geringste Fehler könnte mir hier zum Verhängnis werden."

Wenn der Seelsorger durch die JVA läuft, begrüßen ihn die Häftlinge schon von weitem. "Herr Pfarrer, können wir heute mal zusammen beten?" oder "Könnten Sie mir eine Bibel bringen?", wird er manches Mal angesprochen. Einer der Inhaftierten ist wegen Mordes an seinem Kind seit vielen Jahren hinter Gitter. "Herr Pfarrer, ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe", diese Frage treibe ihn um, berichtet Gerhard Ding.

Manchmal beschleichen den Seelsorger Zweifel: "Ich bin ein hilfloser Helfer, ich kann die Mauern nicht einreißen, nicht die Familie reparieren." Er könne eine Tat nicht ungeschehen machen. Doch irgendwie lässt ihn die Seelsorge für die Gefangenen nicht los: Nach einer kurzen Unterbrechung vor ein paar Jahren ist Ding wieder ins Gefängnis zurückgekehrt.

epd