"Die letzten 30 Jahre", 24. November, 20.15 Uhr im Ersten
Wenn sich filmische Geschichten über mehrere Jahrzehnte erstrecken, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder macht man mit Hilfe von viel Schminke aus jungen Darstellern ältere Herrschaften; oder man besetzt Schauspieler unterschiedlichen Alters. Beide Methoden haben ihre Nachteile: Die Maskerade ist in der Regel allzu leicht als solche zu erkennen; und bei den wechselnden Darstellern lenken die physiognomischen Unterschiede leicht von der Geschichte ab. Zumindest bei Rosalie Thomass und Barbara Auer passiert das nicht: Die Besetzungsidee war brillant; die beiden Schauspielerinnen ergänzen einander perfekt. Das ist ganz entscheidend, denn all die Sympathie, die man in diesem Film für die junge Resa empfindet, soll ja auch der gereiften Juristin gelten.
Ähnlich wichtig ist die authentische Rekonstruktion der Sturm-und-Drang-Jahre dieser Republik, als linke Studenten die Nazi-Vergangenheit von Professoren aufdeckten, die geplante Startbahn West in Frankfurt eine ähnliche Rolle spielte wie heute Stuttgart 21 und angehende Staatsdiener über den so genannten Radikalenerlass stolperten. Ruth Toma (Buch) und Michael Gutmann (Regie) verknüpfen die Geschichte des Landes mit den Biografien eines Pärchens, das beinahe prototypisch ist: hier der Revoluzzer Oskar (David Rott), der die Welt verändern will und daher keine Zeit für Familie hat; dort die Jurastudentin (Thomass), die 1974 mit großen Augen und hehren Idealen aus der Provinz nach München kommt und sich in Oskar verliebt. Nach einigem Hin und Her ziehen sie sechs Jahre später tatsächlich zusammen, doch als Resa schwanger wird, verschwindet Oskar im Untergrund.
Spürbar ironisch, aber ohne Häme legt Ruth Toma dem jugendlichen Weltverbesserer das typische floskelreiche Vokabular jener Jahre in den Mund, das aus heutiger Sicht unfreiwillig komisch und hoffnungslos alltagsfremd klingt. Schon allein wegen ihrer von Rosalie Thomass so wunderbar verkörperten Natürlichkeit ist Resa eine mühelose Sympathieträgerin. Dass Oskars revolutionäre Attitüde nicht zuletzt Reaktion auf den Wohlstand des Vaters ist, klingt zwar klischeehaft, passt aber ins Bild. Ungleich kühner, aber nicht weniger realistisch ist der Sprung ins Jahr 2006. Resa (Barbara Auer) vertritt immer noch ihre Ideale, aber Oskar (August Zirner) ist jetzt Reihenhausbesitzer und hat nicht nur Familie, sondern auch die Seiten gewechselt: Als wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU trifft er auf die einstige Freundin, die eine Umweltschutzorganisation beim Rechtstreit um einen rheinischen Braunkohletagebau als Anwältin vertritt.
Der Zeitenwechsel sorgt naturgemäß für einen Bruch im Film, zumal der Übergang von David Rott zu August Zirner weitaus abrupter ist als der Wechsel von Rosalie Thomass zu Barbara Auer. Der erste Teil des Films hat daher nicht nur quantitativ größeres Gewicht, zumal die Rekonstruktion des Zeitgefühls der Siebziger ausnehmend gut gelungen ist.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).