Kurswechsel: Benedikt XVI. rückt vom Kondomverbot ab
Benedikt XVI. rückt vom strikten Kondomverbot der Kirche ab und sorgt damit für viel Aufregung. Der Papst beschränkt seine Kondom-Befürwortung zwar auf Einzelfälle im Kampf gegen Aids. Doch Medien und Beobachter sind sich einig: Das ist ein Kurswechsel.
21.11.2010
Von Katie Kahle und Hanns-Jochen Kaffsack

Er ist bei vielen als absolut reformunwilliger Konservativer verschrien, aber offensichtlich doch für faustdicke Überraschungen noch gut: Papst Benedikt XVI. rückt von dem strengen Kondom-Verbot des Vatikans ab und öffnet seine katholische Kirche damit einen Spalt weit dem 21. Jahrhundert. Lange schon war weltweit darauf gewartet worden - vor allem wegen der Immunschwächekrankheit Aids und der verheerenden Folgen ungeschützten Geschlechtsverkehrs, aber auch angesichts der riesigen Kluft zwischen Kirche und Realität.

Nun gibt Joseph Ratzinger seinen Kurswechsel vor. Die Zeit des absoluten Neins zu den Präservativen ist auch für ihn vorbei: "Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zur Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung", so argumentiert der Pontifex im Gespräch mit dem Publizisten Peter Seewald. Weil dessen Buch erst am Mittwoch erscheint, sind es Auszüge daraus, die Furore machen.

Explosive Aussagen

Worum geht es dem Oberhaupt der Katholiken? Benedikt hält Kondome doch nicht für die wirkliche und moralische Lösung, sieht aber ihren Einsatz (in Sonderfällen) als möglichen Beitrag dafür an, Sexualität und Verantwortung unter einen Hut zu bringen. Ob Kondom oder Pille, die Sexualmoral der Kirche hatte immer viel Widerspruch oder Spott auf sich gezogen, und ihr Plädoyer für Sex allein zur Fortpflanzung schien doch Lichtjahre von der Wirklichkeit heute entfernt zu sein.

Die Passage zur Prostitution könnte mehr als explosiv sein, auch weil sich Benedikt hier ganz offen auf männliche Prostituierte und damit auf ein weiteres Tabu-Thema zu beziehen scheint: Den Homo-Sex, den es nach Ansicht der katholischen Kirche gar nicht geben dürfte.

Die erste Reaktion von Medien und Beobachtern ist unisono: Es handelt sich um einen bedeutsamen Einschnitt, der außerdem ein neues Licht wirft auf den bislang so scharf kritisierten Papst. Die Vorab-Auszüge reichten aus, um das Bild, das sich viele von dem deutschen Oberhirten gemacht haben, nun zu revidieren, meint die linksliberale Zeitung "La Repubblica". Andere Medien sprechen von einem "wichtigem Schritt" und "sensationeller Trendwende". Und auch das Anti-Aids-Programm der Vereinten Nationen (UNAIDS) ist voll des Lobes.

Benedikts Vorgänger nannte Verhütungsmittel generell "unlauter"

Rückblende: Als Benedikt im März 2009 seine erste Reise in das von Aids geplagte Afrika antritt, macht das schon weltweit negative Schlagzeilen, was er auf dem Flug sagt: "Man kann das Aids-Problem nicht durch die Verteilung von Präservativen regeln. Ihre Benutzung verschlimmert vielmehr das Problem." Die Brandartikel dagegen waren vor allem im Westen, weniger in Afrika selbst, bereits geschrieben, als er dann in Kameruns Hauptstadt Jaunde landet: "Papst verbietet Kondome." Die Welle der Entrüstung war riesig, so dass Seewald aus triftigem Grund gerade das Thema bei den Gesprächen aufgebracht hat.

Auch Benedikts charismatischer und besonders auf dem Schwarzen Kontinent gefeierter Vorgänger Karol Wojtyla hatte Kondome immer kategorisch abgelehnt. In seinem Apostolischen Schreiben "Consortio Familiaris" über die Aufgaben der katholischen Familie schloss er jedes Mittel als "unlauter" aus, das die Fortpflanzung verhindere.

Programmierter Bestseller

Im Vatikan hatten sich dann aber schon mehrfach Stimmen erhoben, um das Verbot zu lockern. So soll im Frühjahr 2009 eine von Benedikt angeforderte Untersuchung des Päpstlichen Rates der Krankenpastorale zu dem Schluss gekommen sein, "Sonderfälle" zu befürworten, in denen das Kondom zulässig sei. Und der Kardinal und emeritierte Erzbischof von Mailand, Carlo Maria Martini, setzte sich bereits 2008 dafür ein, Kondome wegen der Aids-Gefahr in Sonderfällen zuzulassen.

Doch eine wirkliche Änderung der Linie konnte nur der Papst selbst verkünden oder einleiten. Auch in Sachen Medienstrategie nahm Benedikt in diesem Fall das Ruder wieder in die Hand, nachdem er mit seinen Äußerungen im Flugzeug nach Afrika noch Missverständnissen Tür und Tor geöffnet hatte. Vielleicht hätte er das damals erläutern und mehr sagen sollen! Wie seine Wende sich nun in der innerkirchlichen Debatte niederschlägt und was sie moraltheologisch bedeuten könnte, das muss sich noch zeigen. Es gibt jetzt aber einen Reformansatz.

Einen Coup hat jedenfalls Benedikts Gesprächspartner Peter Seewald gelandet. Noch bevor sein Buch "Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit" an diesem Mittwoch erscheint, ist es vorprogrammiert zum Bestseller: Durch Vorab-Publikationen zu Reizthemen - wozu auch der Sextourismus und die Frage gehört, ob der 83-jährige deutsche Papst auch schon mal an Rücktritt gedacht habe.

dpa