Gemeinsame Verteidigung: Nato und Russland rücken zusammen
Mehr als zwanzig Jahre nach Ende des Kalten Krieges rücken die Nato und Russland enger zusammen. Die 28 Staats- und Regierungschefs der Nato-Länder boten dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew bei ihrem Gipfel in Lissabon an, bei der neuen Raketenabwehr in Europa zusammenzuarbeiten. Der Kreml-Chef nahm das beispiellose Angebot eines gemeinsamen Verteidigungsprojektes an, stellte aber Bedingungen.
21.11.2010
Von Christian Böhmer

"Wir sehen Russland als einen Partner, nicht als einen Gegner", sagte US-Präsident Barack Obama am Samstag zum Abschluss des Treffens. Die Beziehungen der Allianz zur Führung in Moskau waren seit dem russischen Feldzug in Georgien 2008 stark belastet.

Medwedew nannte die Annäherung an die Nato ein "historisches Ereignis". Russland werde aber nur an der Raketenabwehr mitarbeiten, wenn es gleichberechtigt sei. "Es geht nicht darum, den Anschein zu wahren - das wird nicht funktionieren", warnte er. So bestehe Moskau auf einem umfassenden Informationsaustausch und der Übernahme von Verantwortung - sonst werde man nicht teilnehmen. Die neue Raketenabwehr dürfe nicht das militärische Gleichgewicht in Europa verschieben, sagte der russische Präsident.

Merkel wirbt um Unterstützung für Obama

Diplomaten sagten, Medwedew mache sich für "ein System vom Atlantik bis zum Ural", das mehr als nur eine Vernetzung nationaler Einheiten von Abwehrraketen sei. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Annäherung der ehemaligen Gegner ebenfalls als historisch, schränkte aber ein: "Es gibt vor wirklicher Kooperation noch viel zu tun." Sie sagte laut Diplomaten, erst einmal müsse eine gemeinsame Bedrohungsanalyse her. Merkel forderte zugleich die US-Republikaner auf, die Abrüstungsbemühungen des Präsidenten zu unterstützen. Eine Ratifizierung berge die Chance, das Kapitel des Kalten Krieges endgültig zuzuschlagen.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte zu Russland: "Zum ersten Mal werden wir bei der Verteidigung zusammenarbeiten. Wir haben heute die Gespenster, die uns viel zu lange verfolgt haben, ausgetrieben."

Gleichzeitig protestierten 30.000 Menschen auf den Straßen Lissabons friedlich gegen die Allianz. Am Ende kam es nach Polizeiangaben zu einigen Rangeleien mit gewaltbereiten Demonstranten.

Rückzug aus Afghanistan

Knapp ein Jahrzehnt nach Beginn der internationalen Militärmission in Afghanistan leitete die westliche Allianz den Rückzug ihrer Truppen ein. Die Ausstiegsstrategie legt fest, dass die Kampfeinsätze bis Ende 2014 enden sollen. Die Sicherheit sollen schrittweise afghanische Armee und Polizei garantieren. Allerdings werden internationale Truppen wohl auch nach 2014 am Hindukusch bleiben. Der Gipfel kam zudem überein, im November 2011 auf einer großen Konferenz in Bonn über das weitere Vorgehen in Afghanistan zu beraten.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy stellte klar, dass sich die neue Nato-Raketenabwehr in Europa gegen den Iran richte. "Frankreich nennt das Kind beim Namen: Die Raketenbedrohung, das ist heute der Iran." Der Gipfel beschloss auch eine neue Strategie, um das Bündnis auf neue Gefahren wie Internetattacken oder Terrorismus auszurichten.

Sparkurs beschlossen

Die Nato warnte vor einer Blockade der atomaren Abrüstung. Eine verspätete Ratifizierung des Start-Abrüstungsvertrags könne die Sicherheitslage gefährden, sagte Rasmussen. In den USA drohen die Republikaner damit, die Billigung des Vertrags zu verzögern.

Angesichts knapper Kassen bei vielen Alliierten beschloss die Nato einen Sparkurs. Die Zahl der Hauptquartiere wird deutlich vermindert, die Zahl der Beschäftigten soll um 35 Prozent oder 5000 Stellen sinken. Bisher hat die Allianz 11 Hauptquartiere mit rund 12 500 Beschäftigten. Welche Standorte betroffen sind, soll bis Juni nächsten Jahres entschieden werden.

In Deutschland gibt es mit dem Headquarters Allied Force Command Heidelberg und dem Headquarters Allied Air Command Ramstein zwei Hauptquartiere. Die Zentrale der AWACS-Flotte der NATO im rheinischen Geilenkirchen zählt offiziell nicht als Hauptquartier.

Obama kündigte an, der nächste Nato-Gipfel werde 2012 in den USA stattfinden.

dpa