Frauenpower im Terrarium: Nachwuchs ohne Mann
Gleich zwei Mal hat eine Abgottschlange geschafft, was bisher bei dieser Schlangenart für unmöglich gehalten wurde: die Zeugung von Nachwuchs ohne biologischen Vater. Eine Untersuchung der North Carolina State Universität hat nachgewiesen, dass die Boa constrictor – so ihr wissenschaftlicher Name – ihre Jungen per Jungferngeburt zur Welt brachte. Der in den Biology Letters, einem Journal der Royal Society veröffentlichten Studie zufolge erschüttern die Forschungsergebnisse so manche bisherige wissenschaftliche Grundannahme.
19.11.2010
Von Anette Schweizer

Gleich zwei Mal hat eine Abgottschlange geschafft, was bisher bei dieser Schlangenart für unmöglich gehaltene wurde: die Zeugung von Nachwuchs ohne biologischen Vater. Eine Untersuchung der North Carolina State Universität hat nachgewiesen, dass die Boa constrictor – so ihr wissenschaftlicher Name – ihre Jungen per Jungferngeburt zur Welt brachte. Der in den Biology Letters, einem Journal der Royal Society veröffentlichten Studie zufolge erschüttern die Forschungsergebnisse so manche bisherige wissenschaftliche Grundannahme.

Neugierig geworden war Dr. Warren Booth, Hauptautor der Studie, als eine in Gefangenschaft gehaltene Boa zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren ausschließlich weibliche Nachkommen zur Welt brachte. Zudem hatten alle insgesamt 22 Töchter der beiden Würfe den seltenen, karamellfarbenen Hautton ihrer Mutter – ein ungewöhnlicher Umstand, denn diese Farbgebung gilt als rezessiv, also als ein Merkmal, das unter normalen Umständen von dominanten Genen überlagert und nicht weitervererbt wird. Die Untersuchung der DNS der Tiere zeigte, woran es lag: Die Sprösslinge tragen ausschließlich die Gene ihrer Mutter in sich, eine Befruchtung durch männliche Spermien gilt damit als ausgeschlossen.

Jungferngeburt offenbar verbreitet

Und noch eine weitere Besonderheit trat zutage. Während weibliche Reptilien üblicherweise die Geschlechtschromosomenpaare ZW haben, und männliche Tiere ZZ, verfügten alle von Booth untersuchten Boa-Babys über WW-Chromosomen – eine wissenschaftliche Sensation, denn diese Kombination galt bisher als unmöglich und mit einem solchen Chromosomensatz ausgestattete Nachkommen als nicht überlebensfähig. Die 22 in North Carolina geborenen Jungtiere sind aber alle wohlauf.

Die Jungferngeburt, auch Parthenogenese genannt, ist zwar sehr selten, aber kein gänzlich unbekanntes Phänomen. Bekannt ist diese Art der Fortpflanzung schon seit längerem von Bienen, Ameisen und anderen Insekten, einzelnen Skorpionen und Krebsen. Bei den Wirbeltieren wurde sie bislang bei weniger als 0,1 Prozent der Arten nachgewiesen, unter anderem bei einem in einem Zoo geborenen Hammerhai, einem Schwarzspitzen-Hai, zwei Komodo-Waranen und Truthühnern. Nach der neuerlichen Entdeckung scheint es jedoch denkbar, dass die unkonventionelle Vermehrungsweise verbreiteter ist als in der Vergangenheit angenommen.

Bisher war man davon ausgegangen, dass die Parthenogenese eine Möglichkeit der Fortpflanzung ist, die kurzfristig das Überleben einer Art sichert und nur dann zum Einsatz kommt, wenn keine männlichen Tiere für die Befruchtung vorhanden sind. In der Natur etwa dann, wenn eine Echse nach einem Sturm auf einer Insel anlandet, auf der es keine entsprechenden Partner gibt. Oder eben, wenn ein weibliches Tier in Gefangenschaft allein gehalten wird.

Schlange hatte sexuelle Kontakte

Doch diese Theorie lässt sich nun nicht mehr aufrecht erhalten. Die Boa aus North Carolina musste keine dramatische Veränderung ihrer Umwelt hinnehmen und hatte mit gleich vier Männchen regelmäßigen Kontakt, auch sexuellen. Warum sie sich gegen deren genetischen Input und für die asexuelle Fortpflanzung entschied, ist nicht bekannt. An einem Mangel an Erfahrung lag es jedenfalls nicht: Zuvor hatte dieselbe Schlange bereits auf altmodischem Wege, also durch Sex gezeugte Junge geboren.

Erst in ein paar Jahren, wenn sie die Geschlechtsreife erreicht haben, wird sich herausstellen, ob die 22 Schlangen-Mädchen aus North Carolina sich auf herkömmliche Weise vermehren oder es ihrer Mutter gleichtun. Fest steht dagegen schon jetzt: Dank ihrer außergewöhnlichen Geschlechtschromosomen werden sie ausschließlich weibliche Nachkommen haben. Auch in Zukunft wird also Frauenpower herrschen im Terrarium.