Das Kreuzzeichen gehört in die Öffentlichkeit!
Darf man das? Das Kreuzzeichen, das Debütant Lewis Holtby beim Fußball-Länderspiel in Schweden nach einer vergebenen Torchance schlug, hat nicht allen gefallen. Doch die Geste ist ganz natürlich. Sie gehört in den Alltag, und es muss damit nicht einmal eine besondere Verbundenheit mit dem christlichen Glauben zum Ausdruck kommen.
19.11.2010
Von Bernd Buchner

Fußball-Länderspiel am Mittwochabend: Schweden und Deutschland trennen sich in Göteborg 0:0. Die größte Chance des freundschaftlichen Kicks bei Minustemperaturen hat ein Debütant: Lewis Holtby, Mittelfeldmann vom Bundesliga-Überraschungsteam aus Mainz, schießt in der 58. Minute nach einem sehenswerten Doppelpass mit Marko Marin nur knapp neben das schwedische Tor. Der 20-jährige Blondschopf schaut erst gespannt dem Ball hinterher, dreht dann ab – und bekreuzigt sich (siehe Video unten). Eine sympathische Geste vor großem Publikum. Neun Millionen TV-Zuschauer waren allein in Deutschland live dabei.

"Des Guten zu viel"?

Doch Holtbys Kreuzzeichen blieb nicht ohne Folgen. Das sei doch "des Guten ein bisschen zu viel", sagte ARD-Comoderator Mehmet Scholl nach dem Spiel über die Geste des Mainzer Fußballers. "Können wir uns schenken, das braucht er eigentlich gar nicht." Und in der "Bild"-Zeitung legt der ehemalige Bayern-Star, der selbst mit dem Buddhismus sympathisiert und sich lange mit der fernöstlichen Religion befasst hat, nach: "Ich will nichts gegen seinen Glauben sagen. Ich bin für Glaubensfreiheit, so lange dadurch niemand zu Schaden kommt." Wie jemand durch den Zeigefinger auf Holtbys Stirn und Brust geschädigt worden sein könnte, bleibt Scholls Geheimnis.

Der Neu-Nationalspieler selbst sprach hinterher von einer "intuitiven Reaktion". Auch er habe danach ein wenig schmunzeln müssen über die Geste, so Holtby. "Aber das kam aus dem tiefsten Inneren, ich bin ja ein gläubiger Mensch." Laut "Bild"-Zeitung betet der in Erkelenz bei Aachen geborene Sohn eines Engländers und einer Deutschen regelmäßig. Er ist evangelisch, sieht das mit den Konfessionen aber offenbar nicht so genau. So hat er sich einen katholischen Rosenkranz auf das rechte Handgelenk tätowieren lassen und trägt ein Armband, auf dem viele kleine Heiligenbilder zu sehen sind.

Eine katholische Geste ...

Auch das Kreuzzeichen ist eine Geste, die man eher aus der katholischen und der orthodoxen Kirche kennt. Holtby vollführte sie übrigens nicht ganz stilecht mit dem Zeigefinger. In der Regel nimmt man die ganze Hand – oder drei Finger wie in den Ostkirchen. Der Protestantismus kennt das Zeichen nicht, weil es nicht biblisch belegt ist. Im "Kleinen Katechismus" schrieb Martin Luther, morgens und abends möge man sich "segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes" und solle beten: "Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen." Ob der Reformator damit aber ein Kreuzzeichen im heutigen Sinne meinte, ist unsicher.

Sicher ist, dass das christliche Zeichen in Südamerika oder Südeuropa niemals so eine Diskussion wie jetzt in Deutschland auslösen könnte. Während argentinische oder brasilianische Fußballer wie selbstverständlich auf dem Rasen das Kreuz schlagen, schaltet sich hierzulande sogar der Bundestrainer ein und rügt seinen Schützling Holtby: "Ich fand es auch etwas übertrieben", so Joachim Löw. "Aber ich werde das natürlich nicht verbieten." Allein der Gedanke daran sagt schon etwas aus über den Stellenwert, den der Glaube in der sportlichen Öffentlichkeit hat. Immerhin schiebt Löw nach. "Wir haben viele gläubige Spieler bei uns." Mesut Özil etwa betet vor jedem Spiel am Mittelkreis zum Gott der Muslime.

... und gut protestantisch

Und das ist gut so – der Glaube ist Teil des täglichen Lebens, seine Symbole gehören in die Öffentlichkeit. Das ist gut protestantisch. Nicht umsonst hat Bundeskanzlerin (und Fußballfan) Angela Merkel kürzlich darauf hingewiesen, dass es in Deutschland nicht zu viel Islam, aber zu wenig Christentum gebe. Mehmet Scholl hat unrecht, wenn er sagt: "Der Anlass war einfach zu klein für eine so große Geste." Das Kreuzzeichen ist keine große Geste. Für Lewis Holtby war sie klein, normal, von Herzen kommend. Er dachte nicht an eine christliche Demonstration, sondern an seine vor kurzem verstorbene Großmutter – der Tag der Länderspielpremiere war ihr Geburtstag.


 Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Religion.