Terrorwarnung: Seid wachsam - aber fürchtet euch nicht
Die Bevölkerung soll wachsam sein, sagt der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger. Es bestehe "kein Anlass zur Panik, wohl aber zu erhöhter Aufmerksamkeit". Was bedeutet das aber konkret? Müssen die Deutschen nun in Angst erzitten oder sich dem unsichtbaren Feind tapfer entgegenstellen wie Siegfried einst dem Drachen? Keineswegs. Es gebe keinen Grund zur Panik, sagen Experten.

Die Bürger sollen der Polizei Hinweise geben, "wenn sie etwas Atypisches feststellen", sagte der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Matthias Seeger, im ZDF. Personen beispielsweise, die sich in einem Bahnhof oder Flughafen ungewöhnlich verhalten, möglicherweise einen Rucksack dabei haben und sich "nicht wie ein normaler Fluggast" verhalten, sondern "anders".

Auch das ist in etwa so vage wie die Warnung des Innenministers, es gebe "Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur Hysterie". Nur: Der Minister hat eigentlich keine Wahl, noch spezifischer zu werden, sagt Professor Dr. Werner Greve, Leiter des Psychologie-Instituts der Universität Hildesheim. Denn eine ganz spezifische Warnung ist auch ein Hinweis an die Terroristen: "Wenn sie sagen: Achtet auf runde Koffer mit roten Griffen, weiß jeder Terrorist auf der ganzen Welt sofort: Den solltest du jetzt eher nicht benutzen. Daher müssen die Warnungen so unspezifisch sein."

Panikmache sieht der Psychologe Greve darin aber nicht: "Die Menschen reagieren ganz unterschiedlich, abhängig von ganz vielen individuellen Randbedingungen." Die Sekretärin im Außenministerium nimmt die Warnung vor Anschlägen ganz anders wahr als beispielsweise jemand, der einen kranken Angehörigen pflegt und ganz andere Sorgen hat. Bei der stärkeren Polizeipräsenz, die Innenminister de Maizière ankündigte, ist es genauso: "Es gibt Leute, die das beruhigt, und es wird Leute geben, den Polizisten sehen und denken: Ah, es ist ja Terrorgefahr!"

Verdeckte Pakete, einsame Koffer, unbeobachtete Gepäckstücke

Die Aufforderung, wachsam und aufmerksam zu sein, ist daher nicht schlecht, um den Druck auf mögliche Terroristen zu erhöhen. "In einer offenen Gesellschaft muss man mit einem gewissen Risiko leben, aber die erhöhte Aufmerksamkeit führt dazu, dass unsere Demokratie wehrhafter wird", beschreibt Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF und Autor mehrerer Bücher zum Thema Terrorismus. Die Polizei kann nicht immer und überall sein: "Zu erwarten, dass sie alle Hinweise hat, um einen Anschlag zu verhindern, ist utopisch."

Theveßen empfiehlt, wie auch der Präsident der Bundespolizei, mehr Wachsamkeit. Auch wenn die Details der Bedrohung im Dunkeln liegen, gibt es dennoch Anzeichen, die einem aufmerksamen Bürger auffallen können. Wann also sollte man handeln? Theveßen unterscheidet verschiedene konkrete Fälle: "Wenn Gepäckstücke, Pakete oder Ähnliches herumstehen, in Mülleimern, an Mülleimern, unter Parkbänken, oder wenn man Personen sieht, die sich verdächtig verhalten, zum Beispiel versuchen, verdeckt ein Paket abzulegen oder so telefonieren, dass es niemand anders mitbekommen soll, sollte man die Polizei benachrichtigen."

Dann gibt es noch den Fall wie im indischen Mumbai, wo Bewaffnete im November 2008 verschiedene Orte in der Stadt angriffen, unter anderem das weltberühmte Taj-Mahal-Hotel. "Auch im Falle einer Attacke, wenn zum Beispiel mehrere Männer mit Masken aus einem Bus aussteigen, auch wenn man es nur von Ferne sieht, hilft es, die Behörden zu informieren."

Täter vornehmlich aus dem islamischen Umfeld

Und im täglichen Leben gibt es ebenfalls Hinweise, die Theveßen als typische Anzeichen für einen Verdacht definiert: "Wenn sich jemand große Mengen Chemikalien besorgt oder versucht, an Waffen zu kommen oder auch seine Wohnung leer räumt und nicht mehr zu finden ist." Die Sauerland-Gruppe, die 2007 verhaftet wurde, hatte ihre Anschläge beispielsweise auf diese Weise verraten.

Auch vor dem Anschlag helfe Wachsamkeit schon, meint Theveßen. Junge Leute beispielsweise, die sich religiös radikalisieren oder Hasstiraden öffentlich machen, sind oft gefährdet. Wenn solche Anzeichen früh erkannt würden, könnten die Behörden schon vor terroristischen Handlungen helfen, "den Menschen mit Argumenten daran hindern, weiter auf die schiefe Bahn zu rutschen".

Einen Generalverdacht gegenüber Migranten oder Ausländern macht Theveßen dabei nicht aus. Aber der religiöse Hintergrund spielt schon eine Rolle: "Wir haben es vornehmlich mit Tätern aus dem islamischen Umfeld zu tun", sagt Theveßen, "aber die müssen keinen algerisch-marokkanischen oder türkischen Hintergrund haben." Denn erstens könnten die Terroristen so deutsch sein wie jeder andere auch, und zweitens spielten Konvertiten "eine wesentliche Rolle".

Einen absoluten Schutz gibt es nicht

So kann eine höhere Aufmerksamkeit von allen den Druck auf Terroristen erhöhen, so dass ein Anschlag verhindert werden kann – oder nicht die Folgen hat, auf die Terroristen abzielen. "Großbritannien hat bewiesen, wie wichtig es ist, die Bevölkerung einzubinden", erläutert Theveßen. Die Behörden hatten vor den Anschlägen von London über Broschüren und Plakate die Bevölkerung umfassend gewarnt und informiert. "Das hilft, mit Anschlägen mit mehr Gelassenheit umzugehen und das Ziel der Terroristen zu verhindern, nämlich Angst und Schrecken zu verbreiten."

Die Chance, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist hierzulande ohnehin gering. Der Heidelberger Psychologe Greve bringt es auf den Punkt: "Wenn es in Deutschland einen Anschlag gibt, werden es wohl nur wenige sein, vielleicht nur einer. Die Wahrscheinlichkeit, dass es mich trifft, ist nicht null. Aber sie ist sehr gering." Mit Theveßen ist er sich einig – einen absoluten Schutz gibt es nicht, das Leben ist nun einmal gefährlich. "Da würde ich mir wünschen, dass auch mal ein Politiker aufsteht und sagt: Die Rundum-Sorglos-Versicherung gibt es nicht", sagt Greve. Die Wahrscheinlichkeit, in einen Autounfall zu geraten, ist schließlich um vieles höher als die eines Anschlags.

Das ist wohl auch der Grund, weshalb Matthias Seeger, Präsident der Bundespolizei, trotz der drohenden Worte des Innenministers die Weihnachtszeit zu genießen gedenkt: "Ich werde mit meinen Kollegen auch auf den Weihnachtsmarkt gehen. Es besteht kein Anlass, die Weihnachtsmärkte nicht mehr zu besuchen."


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Umwelt + Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".