Die Zeichen stehen auf Hoffnung für Afghanistan
Nach Monaten der schlechten Nachrichten scheint sich die Lage in Afghanistan zu verbessern. Beim Nato-Gipfel sollen nun die Weichen für den Abzug der internationalen Schutztruppe gestellt werden.
18.11.2010
Von Michael Fischer

US-General David Petraeus ist kein Mensch, der zu übertriebener Zuversicht neigt. "Ich bin weder Optimist noch Pessimist - ich bin Realist", sagt der Kommandeur der internationalen Schutztruppe Isaf über sich selbst. Die aus seiner Sicht realistische Einschätzung der Lage in Afghanistan ist unmittelbar vor dem Nato-Gipfel in Lissabon allerdings verhältnismäßig positiv. Petraeus spricht vorsichtig von "Fortschritten" und "leichten Erfolgen".

Die Zeichen stehen auf Hoffnung am Hindukusch. Das ist auch im Norden des Landes zu spüren, in dem die Bundeswehr den internationalen Einsatz führt. Aus dem gefährlichsten Distrikt der Region - Char Darah - konnten die Taliban Anfang des Monats mit einer viertägigen Offensive zu einem großen Teil vertrieben werden. Die Sicherheitslage gilt zwar weiterhin als angespannt und es bleibt abzuwarten, ob die Aufständischen zurückkehren. Nach Monaten der schlechten Nachrichten ist jedoch nun auch im Norden Licht am Ende des Tunnels erkennbar.

Die Voraussetzungen für den Gipfel in Lissabon sind also günstig. Für ihr Treffen in der portugiesischen Hauptstadt haben sich die 28 Staats- und Regierungschefs nicht weniger vorgenommen, als die Weichen für den Abzug der von der Nato geführten Afghanistan-Truppe zu stellen. Das wird allerdings ein langer Prozess werden und in Lissabon werden dafür zunächst einmal nur die groben Eckpunkte festgelegt.

Nato will die Afghanen auf den Fahrersitz rutschen lassen

2011 sollen die ersten der insgesamt 34 afghanischen Provinzen an die einheimischen Sicherheitskräfte übergeben werden. 2014 sollen afghanische Polizei und Armee dann in der Lage sein, im ganzen Land alleine für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Selbst dann sollen internationale Truppen aber präsent bleiben, um den Afghanen bei Rückschlägen zur Seite stehen zu können - wie lange, ist unklar.

Isaf-Sprecher Josef Blotz beschreibt den Übergabeprozess mit einem Gleichnis. "Die Afghanen sind jetzt schon dabei, vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz zu rutschen", sagt der deutsche Brigadegeneral. Sobald eine Provinz an die Afghanen übergeben wird, sitze die Isaf dort auf dem Rücksitz und achte nur noch darauf, dass der Fahrer nicht verkehrt herum in die Einbahnstraße fährt. "In der letzten Phase fahren wir nur noch hinterher", sagt Blotz.

Der Übergabeprozess war bereits auf der Londoner Afghanistan-Konferenz Anfang des Jahres vorbereitet worden. Die internationale Staatengemeinschaft beschloss dort eine deutliche Verstärkung der Ausbildung von afghanischen Soldaten und Polizisten. Die Isaf-Truppe wurde dafür noch einmal deutlich aufgestockt. Heute gehören ihr 140.000 Soldaten aus 48 Ländern an, davon mit 5.000 so viele Bundeswehrsoldaten wie nie zuvor.

2012 will auch die Bundeswehr abziehen

Bis Herbst 2011 sollen mehr als 300.000 afghanische Soldaten und Polizisten einsatzbereit sein. Zahlenmäßig liegt das Ausbildungsprojekt im Plan. Die Qualität des Trainings ist allerdings umstritten. Immer wieder klagen Isaf-Offiziere über mangelnde Disziplin, Motivation und Fähigkeiten der afghanischen Partner. Trotzdem soll möglichst bald nach dem Jahreswechsel die erste Provinz übergeben werden. "Wenn wir im ersten Halbjahr 2011 nicht beginnen, dann schaffen wir es nicht bis 2014", sagt Blotz.

Inwieweit schon im nächsten Jahr die Isaf-Truppenstärke zurückgefahren wird, ist noch unklar. US-Präsident Barack Obama strebt eine Reduzierung schon ab Juli 2011 an und will möglichst schon 2012 die letzte Provinz übergeben - das ist das Jahr der nächsten Präsidentenwahl.

Die Bundesregierung will das deutsche Kontingent im nächsten Jahr noch stabil halten. Im folgenden Jahr soll der Abzug der Bundeswehr aber beginnen. "Vorbehaltlich der Entwicklung der Sicherheitslage ist es unser Ziel, unser eigenes Kontingent im Jahr 2012 zum ersten Mal zu reduzieren", schrieb Außenminister Guido Westerwelle (FDP) pünktlich zum Nato-Gipfel am Donnerstag in einem Beitrag für "Die Welt".

dpa