Hilfe beim Umgang mit dem seelischen Schatten
Das Kirchenjahr spiegelt mit seinen Festen seelische Grundstimmungen wider. In den Herbst fallen die Gedenktage, die der Trauer, Besinnung und Lebensbilanz gewidmet sind: Zu ihnen gehört der evangelische Buß- und Bettag, der vor dem Totensonntag begangen wird.
16.11.2010
Von Stephan Cezanne

Der Buß- und Bettag soll Wege zum Umgang mit dem Scheitern öffnen und zur Auseinandersetzung mit den negativen Aspekten des eigenen Innenlebens anregen. "Manchmal verdunkeln die Schatten der Schuld derart den Lebenshorizont, dass es dringlich ist, das loszuwerden, was bedrückt und quält und die Kraft zum Leben schmälert", heißt es in einer christlichen Lebenshilfe.

Der Umgang mit dem Schatten, den verdrängten Teilen des Bewusstseins, ist auch ein zentrales Thema der Tiefenpsychologie: "Man wird aber nicht hell dadurch, dass man sich Helles vorstellt, sondern dadurch, dass man Dunkles bewusst macht. Letzteres aber ist unangenehm und daher nicht populär", heißt es in einem Aufsatz des Schweizer Psychiaters Carl Gustav Jung (1875-1961), dem Begründer der analytischen Psychologie.

Die andere Hälfte der Persönlichkeit

Der Schatten sei die andere Hälfte unserer Persönlichkeit: unangenehm, aber durchaus vitalisierend, meint die Schweizer Psychologieprofessorin und Bestseller-Autorin Verena Kast. "Wir stellen gewisse Aspekte von uns ins Licht, diese sollen gesehen werden, und dadurch geraten andere Aspekte von uns in den Schatten", merkt Kast an ("Der Schatten in uns - Die subversive Lebenskraft", dtv-Verlag). "Oder aber wir versuchen schon von vornherein, gewisse Seiten von uns im Halbdunkel zu lassen oder auch ganz im Dunkeln."

Wer die Schattenaspekte in seiner Persönlichkeit akzeptiert, darauf weist Kast hin, kommt besser mit dem Leben zurecht: "Schattenakzeptanz führt zu einer Reduktion von Lebensangst, wir sind uns selber und den anderen gegenüber realistischer, auch weniger narzisstisch, gewöhnlicher - und das entlastet." Schattenakzeptanz bringe Frieden mit sich selbst, formuliert sie. Es gehe dabei auch um mehr Echtheit und Authentizität, "darum, dass wir nicht die anderen Menschen für das verantwortlich machen, was in unserer Verantwortung liegt".

Melancholie ist nicht gleich Depression

Die Melancholie und Besinnlichkeit der kirchlichen Buß- und Trauertage ist daher keine Anstiftung zur Depression. Diese besonderen Tage im Kirchenjahr sollen auch der Heilung dienen und Raum für neue Lebensorientierung geben. Der Buß- und Bettag dient heute auch dem Nachdenken über gesellschaftliche Probleme wie Ausländerfeindlichkeit, Umweltzerstörung und die Ausgrenzung von Armen und Obdachlosen.

Der Tag für Besinnung, Umkehr und Buße wurde in Deutschland allerdings vor einigen Jahren zum politischen Zankapfel: Der protestantische Feiertag, 1532 im mittelalterlichen Straßburg offiziell eingeführt, wurde 1995 zur Finanzierung der Pflegeversicherung in allen Bundesländern außer in Sachsen gestrichen.

"Wohin will ich mich bewegen?"

Sicherlich sei es nicht zufällig der Bußtag, der in fast allen Bundesländern abgeschafft wurde, meint kritisch der evangelische Theologe und Psychologe Hans Gerhard Behringer ("Die Heilkraft der Feste", Kösel-Verlag): "Wer vermag dem Bußgeschehen als solchem etwas abzugewinnen?". Doch jeder wisse, wie notwendig Bilanzen etwa im Wirtschaftsleben und jedem Unternehmen seien. Genau das mute ein Gedenktag wie der Bußtag einmal im Jahr den Menschen zu, urteilt der Nürnberger Psychotherapeut Behringer. "Das ist mit Umkehr gemeint: Neuorientierung, neue Klarheit, wer ich bin und wohin ich mich bewegen will."

epd