Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe eine für Christen wohltuende Rede gehalten. Deutlicher als die meisten Politiker zuletzt hat sie sich zum christlichen Glauben bekannt und ihn zur Leitlinie nicht nur der Politik der Bundesregierung sondern auch ihrer ganz persönlichen erklärt. "Die ethischen Grundlagen des Christentums sind die Leitlinien unserer Politik. Uns trägt der Glaube. Er gibt uns Kraft. Ich sage es ganz persönlich: Er gibt mir Kraft", sagte Merkel. Die Kanzlerin hat damit indirekt auch den neuen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider unterstützt. Dieser hat sich für eine Kirche ausgesprochen, die sich auch politisch einmischt. Wenn die ethischen Grundlagen des Christentums die Leitlinien der Politik in Deutschland sein müssen, versteht es sich von selbst, dass die höchsten Repräsentanten des Christentums in diesem Lande diese ethischen Leitlinien immer wieder benennen und anmahnen.
Merkel wurde vorgeworfen, sie habe den Bezug zum Christentum in ihrer Parteitagsrede vor allem deshalb so deutlich herausgestellt, weil sie die Konservativen in ihrer Partei stärker einbinden müsse. Und natürlich kann niemand leugnen, dass das Lied vom hohen "C" auf der Klaviatur von CDU-Politikern häufig dann angestimmt wird, wenn es darum geht, die eigenen Reihen zu schließen und eigene Stammwähler anzusprechen. Hätte Merkel daher ihr starkes Bekenntnis zum Christentum zu einem anderen Zeitpunkt und an einer anderen Stelle geäußert – zum Beispiel bei einem Staatsbesuch in der Türkei und zu Zeiten großer innerparteilicher Zustimmung -, wäre es ein noch stärkeres und noch glaubwürdigeres gewesen.
Merkel ist glaubwürdig
Dass die Pfarrerstochter Merkel das Christentum aber nur als politisches Mittel gebraucht, um ihre Macht zu sichern, ist ein Vorwurf, den man ihr nicht machen kann. Merkel ist überzeugte Christin. Sie lebt ihren Glauben und es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass Merkels christliche Überzeugungen auch die Leitlinien ihrer Politik mitbestimmen. Gelegentlich übrigens zum Leidwesen der FDP, die deutlich laizistischer veranlagt ist und einen geringer ausgeprägten Blick für die Schwachen in dieser Gesellschaft hat als die Kanzlerin und die CDU.
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Und doch muss die Kanzlerin und muss die CDU aufpassen, dass das "C" im Namen nicht zur hohlen Phrase wird und zu einem Instrument der Beliebigkeit verkommt. Mal abgesehen davon, dass kaum klar zu definieren ist, was christlich-jüdisch ist, dürfen die ethischen Grundlagen des Christentums nicht an der einen Stelle zur Begründung herhalten und an anderer Stelle außer Acht gelassen werden. Die CDU neigt aber dazu, vor allem dort auf christliche Werte zu verweisen, wo sie selbst konservative Positionen einnimmt.
Der christliche Glaube, gerade auch die protestantische Prägung, ist aber nicht nur konservativ und bewahrend. Er ist auch Fortschritt und gelegentlich sogar revolutionär, wie Martin Luther uns zeigt. Vor allem aber lässt sich der christliche Glaube in seiner Vielfalt nicht eindeutig zuordnen und kann daher in verschiedenen Fragen nur schwerlich vereinnahmt werden.
Keine eindeutigen Antworten
Nicht nur Präimplantationsdiagnostik (PID) und Familienpolitik können christlich begründet werden, sondern etwa auch Asyl-, Sozial- oder Schulpolitik. Ein Mindestlohn ließe sich christlich ebenso begründen wie die Einführung einer Gesamtschule und die damit womöglich verbundene höhere Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Dass sich die EKD-Synode in Sachen Atomausstieg deutlich von der Politik der Regierung distanziert hat, zeigt, dass die CDU kein Monopol darauf hat, für christliche Politik zu stehen. Präses Schneider jedenfalls hat seine Position zum Atomausstieg theologisch begründet. Die CDU hingegen spricht von "Brückentechnologie" und "Versorgungssicherheit". Wie wird die Bundeskanzlerin und Protestantin Merkel dem Ratsvorsitzenden ihre Politik begründen?
Und auch explizit ethische Fragen können nicht immer eindeutig christlich oder gar theologisch beantwortet werden. Der evangelische Theologe und CDU-Politiker Peter Hintze etwa hat sich eindeutig für die PID ausgesprochen. In seinem Gastbeitrag für evangelisch.de hat er dies auch mit seinem Glauben begründet. "Nach christlichem Verständnis ist der Mensch weit mehr als nur die Summe seiner Gene. Dies sollte uns dazu führen, dem ungeborenen Leben im Mutterleib mit der PID einen vorbeugenden Schutz angedeihen zu lassen", schreibt Hintze und sieht die PID als Möglichkeit, Nein zu Abtreibung und Ja zum Leben zu sagen. Der Christ Hintze grenzt sich also von der Position anderer konservativer Vertreter seiner Partei ab und begründet dies explizit mit seinen christlichen Überzeugungen. Andere Christen, etwa Bischof Johannes Friedrich, haben Hintze widersprochen. Christliche Überzeugungen können in politischen Fragen also durchaus zu unterschiedlichen Antworten führen.
Keine Ausgrenzung
Es ist wohltuend, dass die Kanzlerin die ethischen Grundlagen des Christentums zu den Leitlinien ihrer Politik erklärt. Sie selbst und ihre Partei dürfen dabei aber nicht den Fehler begehen, die jeweils eigene Position für christlich zu erklären und andere Meinungen und Ansichten als unchristlich auszugrenzen. Die CDU hat kein Monopol auf gläubige Christen. Dass "gute Christen" konservativ sind, ist ein Irrglaube. Sie sind mehr als das. In ihrer Rede hat Merkel über die CDU auch gesagt: "Wir sind politische Heimat für Soziale, Liberale und Konservative." Man könnte ergänzen, dass auch die Evangelisch Kirche Heimat ist für Soziale, für Liberale und für Konservative. Als christliche Partei wäre die CDU noch glaubwürdiger, wenn sie auch bei ihren fortschrittlichen Positionen expliziter auf christliche Werte verweisen würde. Nicht nur nach Außen, sondern auch nach Innen.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de