Im Interesse von Eltern, die an schweren Erbkrankheiten leiden, will der Ratsvorsitzende der EKD und rheinische Präses Nikolaus Schneider die Debatte neu aufnehmen. Die Synode hat den Rat der EKD vergangene Woche damit beauftragt, die bisherige Position zu überprüfen. In einem Beschluss von 2003 hatte sich die EKD dafür eingesetzt, die genetische Untersuchung künstlich erzeugter Embryonen zu verbieten. Jetzt hält Schneider "eine gewisse Öffnung" für möglich, das sagte er dem "Spiegel".
In einem Kommentar für "Bild am Sonntag" schrieb er: "Ich weiß um die Nöte der Eltern, die an einer schweren Erbkrankheit leiden und fürchten, diese an ihre Kinder weiterzugeben." Andererseits warnte Schneider: "Wir sollten uns nicht anmaßen zu entscheiden, welches Leben lebenswerter ist und welches nicht." Die Diskussion müsse erneut geführt werden, weil zum einen die medizinische Entwicklung weitergegangen sei, erklärte Schneider dem epd. "Zum anderen kamen mir die Mütter zu wenig vor in dieser ethischen Debatte." Er empfinde Sympathie für Eltern, die die PID als Hilfe ansehen.
Hintze: Medizin soll Eltern helfen
Mit dem Stichwort "Hilfe" lässt sich auch die Haltung von Peter Hintze überschreiben. Der CDU-Politiker ist evangelische Theologe und nimmt neben seinem Bundestagsmandat die Aufgaben eines Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie wahr. Hintze argumentiert, Christen hätten die Verantwortung, die ihnen gegebenen Möglichkeiten, Not zu lindern, auch zu nutzen. "Dort, wo Menschen innere und äußere Not erleiden, sind wir aufgerufen, ihnen zur Seite zu stehen und unsere Hilfe zukommen zu lassen", schrieb er ein einem Gastbeitrag für evangelisch.de. Eltern mit genetischer Vorbelastung und Kinderwunsch seien unsicher und litten große seelische Nöte – vor allem die Mütter."
Als Christen stehen wir in der Verantwortung, die uns gegebene Fähigkeit zu nutzen, mit Hilfe der Medizin anderen Menschen zu dienen, und die Not von leidenden Menschen zu lindern", so Hintze. Die PID gebe diesen Eltern die Chance, "Ja zu einem eigenen Kind und Ja zum Leben zu sagen". Außerdem fürchtet der Politiker, schwere rechtliche und moralische Widersprüche im Falle eines Verbots: Schon jetzt sei bei entsprechender Indikation ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt, während die Untersuchungen von Eizellen außerhalb des Mutterleibs verboten sei. Hintze hält es "für ethisch und rechtlich unverantwortlich, die PID als den geringeren Eingriff zu verbieten und die Frau bei Vorliegen einer schweren genetischen Belastung gewissermaßen in die Konfliktsituation zu treiben". PID sei "eine menschenfreundliche und eine ethisch wertvolle Medizin."
"Menschen dürfen niemals Lebensrecht absprechen"
Dr. Johannes Friedrich sieht das anders. Er ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands VELDK und Mitglied im Rat der EKD. Er meint, die PID könne "der künstlichen Selektion Bahn brechen - staatlich abgesegnet". Das Ziel sei eindeutig: "Wenn 'Defekte' vorliegen, die als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Embryo genetische Anlagen für Krankheit oder Behinderung in sich trägt, dann wird er aussortiert. Er wird nicht in den Mutterleib eingepflanzt, sondern der Vernichtung preisgegeben.
Die PID hat also den Zweck, Wissen zur Verfügung zu stellen, das als Maßstab für die Selektion menschlichen Lebens dient." Damit werde die Grenze des ethisch Verantwortbaren überschritten, schreibt Friedrich in seinem Beitrag auf evangelisch.de: "Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die PID die Grenze des ethisch Verantwortbaren überschreitet: Gott allein ist Herr über Leben und Tod. Und Menschen dürfen sich niemals anmaßen, zwischen "lebenswert" und "lebensunwert" zu unterscheiden und menschlichem Leben das Lebensrecht abzusprechen."
Mit dem Argument, PID verhindere Spätabtreibungen, werde die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Eltern sich auch für ein krankes oder behindertes Kind entscheiden könnten. "Kann das die Absicht des Gesetzgebers sein?" Durch die PID würde ein "Instrument geschaffen, das erklärtermaßen das Ziel einer Selektion verfolgt", so Friedrich. "Das christliche Menschenbild weiß, dass nicht nur die Starken, Gesunden und der 'Norm' entsprechenden Menschen Geschöpfe und Ebenbilder Gottes sind."
Die Sorge ist, dass das Verfahren für Selektion missbraucht wird
Auch der badische Evangelische Landesbischof Ulrich Fischer hat – zusammen mit dem katholischen Erzbischof Robert Zollitsch – heute Morgen vor Mitgliedern der CDU gesagt, dass Politik dem Leben dienen müsse. Fischer erinnerte die Politiker daran, dass bei allen Anstrengungen um Nachhaltigkeit in der Politik immer nur "das Vorletzte in den Blick" genommen werden könne. "Das Letzte ist menschlicher Verfügung entzogen, ist allein Gottes Werk", sagte der Theologe. Bei der politischen Arbeit gehe es nicht um das Heil der Welt, sondern um das Wohl der Menschen und der Schöpfung Gottes, betonte Fischer. Erzbischof Zollitsch sagte, gerade in der Politik habe man die Gelegenheit, in Deutschland an einer "Kultur des Lebens mit zu bauen".
Der Deutsche Ethikrat will bis zum Sommer 2011 eine Stellungnahme zur PID vorlegen. Der Medizinethiker Eckhard Nagel, der Mitglied im Ethikrat ist, befürwortet eine auf wenige Erbkrankheiten begrenzte Zulassung und schließt eine völlige Freigabe von PID aus. In einem epd-Interview sagte der Mediziner, PID werde immer "ein ethisches Dilemma" bleiben. "Auf der einen Seite halte ich PID dann für sehr problematisch, wenn das Verfahren dazu eingesetzt wird, um eine Auswahl zwischen Embryonen zu treffen. Auf der anderen Seite kann PID unter bestimmten Umständen als eine Hilfe empfunden werden."
Er teile die Sorge von Kirchenvertretern, dass das Verfahren irgendwann für Selektionszwecke missbraucht werden könnte. Es werde eine vorsichtige Neuregelung gebraucht, "die Rücksicht nimmt auf die wenigen Einzelfälle, in denen es hilfreich sein kann, eine PID durchzuführen. Die Ehrfurcht vor dem Leben als ethisches Leitmotiv gebietet es uns, auch diese speziellen Situationen und Lebensgeschichten ins Auge zu fassen."