[reference:nid=25929]
Der neue Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hat die Kritik der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bekräftigt. Es fehle eine klare Strategie zum Ausstieg, sagte Schneider am Mittwoch im Deutschlandfunk. Diese sei jedoch für die ethische Legimitation des Einsatzes notwendig.
Schneider machte zugleich deutlich, dass er als oberster Repräsentant der fast 25 Millionen Protestanten in Deutschland einen anderen Stil pflegen werde als seine Vorgängerin Margot Käßmann. Die Ende Februar nach einer Alkoholfahrt am Steuer ihres Dienstwagens zurückgetretene hannoversche Landesbischöfin hatte zu Jahresbeginn mit der Aussage "Nichts ist gut in Afghanistan" eine heftige politische Debatte ausgelöst.
"In dieser Zuspitzung hätte ich vermutlich nicht formuliert, obwohl ich ihre Kritik völlig geteilt habe", sagte Schneider. In einer gemeinsamen Erklärung von EKD-Spitzenrepräsentanten mit Käßmann habe man später die "sehr zugespitzte Formulierung" aufgenommen und argumentativ noch einmal in die Öffentlichkeit getragen. "Das war dann nicht mehr die große Welle, aber es hatte durchaus Wirkung", sagte Schneider, der das Amt seit dem Rücktritt Käßmanns Ende Februar bereits kommissarisch ausgeführt hatte. Am Dienstag bei der EKD-Synodentagung in Hannover wurde der Präses der rheinischen Landeskirche für die nächsten fünf Jahre zum Ratsvorsitzenden gewählt.
Wissen über Gott geht abhanden
Einen geringeren öffentlichen Einfluss der evangelischen Kirche seit dem Käßmann-Rücktritt sieht Schneider nicht. "Ich mache die Erfahrung, dass wir sowohl gefragt als auch gehört werden", sagte der Präses. Auch er selbst könne sich nicht darüber beklagen, nicht oft zitiert zu werden. Doch achte er sehr darauf, in den Debatten "die Menschen mitzunehmen": "Das erscheint dann manchmal als abgewogener und ist dann nicht so spektakulär." Im Sender Bayern2 sagte Schneider, in Deutschland komme den Menschen seit einer Generation das Wissen über Gott abhanden. Das gelte besonders in den neuen Bundesländern. Darüber hinaus gebe es einen "kämpferischen Atheismus, der in seinen Behauptungen fast fundamental wirkt".
In der Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) trat Schneider dafür ein, in die ethischen Überlegungen die Mütter stärker einzubeziehen. Bislang hatte der Rat der EKD ein striktes Verbot der PID gefordert, die zur Verhinderung von Erbkrankheiten eine Selektion künstlicher erzeugter Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib ermöglicht. Schneider sagte, er wolle das Gespräch mit Fachleuten darüber suchen, inwieweit eine ethisch verantwortbare Begrenzung dieser Diagnostik möglich ist. Eine Neuregelung steht an, weil der Bundesgerichtshof im Juli das bisherige gesetzliche Verbot gekippt hatte.
Kirche will den Menschen dienen
Der neue Chef der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, will am politisch engagierten Kurs der Kirche festhalten. Bereits unmittelbar nach seiner Wahl am Dienstag kritisierte der rheinische Präses den Atomkurs und den Castortransport nach Gorleben heftig. Am Mittwoch erneuerte Schneider im Deutschlandradio seine Kritik an der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Ohne Not habe die Bundesregierung einen gesellschaftlichen Konsens aufgekündigt und sich durch Verträge mit den großen Stromkonzernen in eine Abhängigkeit begeben.vertreten.
Die Kirche wolle sich nicht aus eigenem Machtanspruch in die Politik einmischen, sondern den Menschen dienen, betonte Schneider. Sein Engagement sei ein geistliches und kein politisches, auch wenn er gern als Sozialbischof bezeichnet werde. In seiner Antrittsrede vor dem Kirchenparlament hatte Schneider außerdem den Afghanistan-Einsatz kritisiert und die Integrations- und Hartz-IV- Debatte ins Visier genommen.
"Es ist gut, wenn die Probezeit auch mal zu Ende ist"
Schneider hatte als Stellvertreter an der Kirchenspitze zunächst im Schatten der medienpräsenten Käßmann gestanden, sich nach seinem unverhofften Wechsel zum kommissarischen Vorsitzenden aber als Steuermann mit ruhiger Hand erwiesen. "Es ist gut, wenn die Probezeit auch mal zu Ende ist", scherzte er am Dienstag. Dabei bringt er bereits viel Führungserfahrung mit: Seit 2003 steht er als Präses an der Spitze der mit rund drei Millionen Gläubigen zweitgrößten Landeskirche im Rheinland. Immer wieder hatte er seine Stimme dort in sozialen Fragen erhoben und sich Sprache und Draht zur normalen Bevölkerung erhalten - auch bei der Trauerfeier nach der Loveparade in seiner Heimatstadt Duisburg.
[reference:nid=25931]
Die künftigen Aufgaben des Kirchenchefs sind nicht leicht: Der demografische Wandel und die immer weltlicher werdende Gesellschaft lassen die Zahl der Kirchgänger schrumpfen, mittelfristig wird auch ein Rückgang der Kirchensteuereinnahmen erwartet. Deshalb hatte die Kirche 2007 eine zunächst umstrittene Reform mit Einschnitten in ihre Strukturen angestoßen, deren weitere Moderation auch Schneiders Aufgabe sein wird. "Mir ist wichtig, dass auch die Synode sich den Reformprozess zu eigen macht", sagte er. Viele Kirchenparlamentarier hatten sich von dem Reformvorstoß überrumpelt gefühlt. An einem Wandel aber führe kein Weg vorbei, betonte Schneider.
Nicht nur für das Vorantreiben der Reformen kündigte Schneider eine Arbeitsteilung an der Kirchenspitze an. Er setzt auch auf Sachverstand und Ausstrahlung seines Stellvertreters und der Synodenpräses, der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Vor allem Sachsens Bischof Bohl soll zum weiteren Zusammenwachsen der Kirchen in Ost und West beitragen. "Mir ist wichtig, dass die Stimmen aus den östlichen Gliedkirchen zu hören sind." Auch die Präses ist eine Vertreterin des Ostens. "Katrin Göring-Eckardt ist eine wichtige Stimme des Protestantismus und eine gute Ratgeberin", betonte Schneider. Er schlug damit andere Töne als seine Vorgänger Käßmann und Wolfgang Huber an, die das Kirchenparlament mitunter als zu eigenmächtig empfunden hatte.
Evangelische Kirche beendet Synodentagung
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beendet heute (Mittwoch) in Hannover ihr Jahrestreffen. Zum Abschluss ihrer Beratungen will die EKD-Synode eine Erklärung zur Bildungspolitik verabschieden. Unter dem Titel "Niemand darf verloren gehen!" tritt die evangelische Kirche für grundlegende Reformen ein.