Niedersachsen verlangt Alternativen zu Gorleben
Nicht nur bei den Kosten für den Schutz der Castor-Transporte fühlt Niedersachsen sich allein gelassen. Auch bei der Suche nach einem Zwischen- oder Endlager möchte die Landesregierung nach Alternativen suchen - zum Beispiel im Süden. Umweltminister Sander nannte das eine Möglichkeit, die man prüfen sollte.
10.11.2010
Von Georg Ismar

Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) hält es für sinnvoll, alternative Zwischenlager für Castoren anstelle von Gorleben zu prüfen. Sander sagte in der "Frankfurter Rundschau" (Mittwoch) zu dem Vorschlag der Umweltorganisation Greenpeace, den Atommüll aus der Wiederaufarbeitung in La Hague und Sellafield künftig an süddeutschen AKW-Standorten wie Philippsburg oder Biblis zu lagern, dies sei eine Möglichkeit, die man durchaus prüfen sollte. "Der Protest wäre bestimmt weit geringer. Das würde Niedersachsen entlasten, das mit den Castor-Spektakeln eine ungeheure Last zu tragen hat."

Niedersachsen nimmt Südländer in die Pflicht

Er schränkte allerdings ein: "Eine dauerhafte Lösung für das Atommüll-Problem wäre das aber nicht." Es müsse möglichst schnell geklärt werden, ob der Gorleben-Salzstock für das Endlager geeignet sei. Bei Nichteignung müsse eine neue Suche beginnen - und zwar in allen Bundesländern mit geologisch geeigneten Standorten. Dazu zählten auch Bayern und Baden-Württemberg.

Sander sprach sich bei der beschlossenen Weitererkundung des Salzstocks für ein "völlig transparentes Verfahren, eine Art, gläsernes Bergwerk" aus. Er schlug vor, eine Begleitgruppe einzurichten, in der auch die Pro- und Contra-Bürgerinitiativen und Wissenschafter vertreten sein sollten.

Streit um Folgen des Castor-Transports

Nach der Ankunft des zwölften Castor-Atommülltransports in Gorleben hat am Dienstag der Streit um die Kosten und die politischen Folgen der Protestaktionen begonnen. Das Land Niedersachsen will nicht allein auf den Einsatz-Ausgaben in Höhe von 25 Millionen Euro sitzenbleiben. Atomkraftgegner, Opposition und auch die Evangelische Kirche wollen die Diskussion um die Akzeptanz der Atompolitik der Bundesregierung vorantreiben.

Auf massive Kritik an der Entsorgungspolitik der schwarz-gelben Koalition stößt der geplante Transport von Atommüll aus Deutschland in die russische Wiederaufarbeitungsanlage Majak. Die atomare Fracht stammt ursprünglich aus dem früheren DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden. Sachsen hatte die 951 Brennelemente im Frühjahr 2005 mit 18 Castor-Behältern ins münsterländische Zwischenlager Ahaus bringen lassen, da Rossendorf als Zwischenlager nicht zugelassen war. Für die Ausfuhr ist das Bundesamt für Ausfuhr und Wirtschaftskontrolle zuständig. Die Genehmigung liegt offiziell noch nicht vor.

"Wir sind nicht mehr bereit, diese Sonderlast zu tragen"

Der Castor-Transport war mit mehr als eintägiger Verspätung am Dienstag im Zwischenlager Gorleben eingetroffen. Als sich kurz vor 10.00 Uhr das Tor hinter dem letzten Schwertransporter schloss, hatte der Atommüll seit seiner Abreise von der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague 92 Stunden Fahrt hinter sich. 25 Millionen Euro werden für die Sicherung des Transportes gezahlt werden müssen.

"Wir sind nicht mehr bereit, diese Sonderlast zu tragen", sagte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) bei einer Bilanz des Einsatzes. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg forderte, die Abfallverursacher dafür zur Kasse zu bitten.

Für neuen Unmut sorgte, dass das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie nur Stunden nach der Ankunft des Transports den Sofortvollzug für die Erkundungsarbeiten für das mögliche Atommüllendlager anordnete. Gegen die Wiederaufnahme der Erkundungsarbeiten hatten Anwohner, die evangelische Kirche und Atomgegnern vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg geklagt.

Nahe dem oberirdischen Zwischenlagers könnte in dem Salzstock in Gorleben das erste Endlager für hoch radioaktiven Atommüll entstehen. Am 1. Oktober war die Erkundung nach zehnjähriger Unterbrechung wieder aufgenommen worden, die eigentliche Arbeiten haben aber bisher noch nicht begonnen.

Die Gegner eines Atomendlagers in Gorleben sehen sich nach dem Rekordprotest im Aufwind. "Der Castor-Zug ist in Gorleben eingetroffen, aber die Bundesregierung ist weiter denn je von ihrem Ziel entfernt, Akzeptanz für Atomkraft in Deutschland zu schaffen," sagte Robin Wood-Vorstand Florian Kubitz. "Die Proteste haben gezeigt, dass die Haltung schmilzt, dass wir nichts bewegen können", sagte Jochen Stay von der Kampagne "ausgestrahlt" in Trebel.

Demonstranten und Polizei am Ende ihrer Kräfte

Eine gute Stunde hatte der Konvoi der Schwerlaster gebraucht, um die Strecke zwischen dem Verladebahnhof Dannenberg zum Zwischenlager zu überwinden. Tausende Polizisten sicherten die Strecke. Zuvor hatten die Beamten in der Nacht eine Sitzblockade von mehreren tausend Demonstranten aufgelöst, deren Teilnehmer dort bis zu 44 Stunden ausgeharrt hatten. Vor dem Verladebahnhof Dannenberg verzögerten am Montagabend zwei Greenpeace-Mitglieder die Abfahrt der Tieflader mehr als zwölf Stunden lang. Sie hatten sich in einem als Bierlaster getarnten Lkw an einen Betonblock fixiert. Die Polizei bekam sie erst am frühen Morgen los.

Sowohl Demonstranten als auch Polizisten waren zum Schluss mit ihren Kräften am Ende. Die Beamten waren nach Angaben der Einsatzleitung bis zu 30 Stunden im Einsatz. "Die Polizisten sind bis an die Grenzen ihrer Belastung gekommen", sagte Schünemann. Atomkraftgegner warfen der Polizei vor, angesichts ihrer Überforderung zum Teil härter zugegriffen zu haben als es angemessen gewesen wäre.

Nach Einschätzung der Polizei ist ihre Sicherheitsstrategie aufgegangen. Erhebliche Schäden am Gleisbett hätten verhindert werden können. Insgesamt wurden 1316 Demonstranten vorübergehend in Gewahrsam genommen. Gegen 172 Protestierer wurden Strafverfahren eingeleitet, 117 Traktoren wurden beschlagnahmt.

Nach Angaben der Atomkraftgegner gab es auf Seiten der Demonstranten mindestens 950 Verletzte. Vor allem wurde über Augenprobleme durch Pfefferspray geklagt. Bei der Polizei wurden 131 Verletzte gezählt, sie erlitten unter anderem Platzwunden durch Steinwürfe und Flaschen.

Röttgen verteidigt Standort Gorleben

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) stellte am Dienstag klar, dass alternative Standorte für ein Endlager erst erkundet würden, wenn Gorleben sich als ungeeignet erweise. "Man kann nicht zwei- oder dreimal Gorleben in Deutschland stemmen", sagte er dem Nachrichtensender n-tv. Der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin, forderte im Bayerischen Rundfunk eine transparente und ergebnisoffene Suche nach einem Endlager.

CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich hält schwarz-grüne Bündnisse vor allem wegen des Atom-Kurses der Grünen derzeit nicht mehr für denkbar. "Ich sehe, dass die vermeintliche Schnittmenge, die Gemeinsamkeit zwischen den Grünen und der Union, enorm geschrumpft ist", sagte Friedrich in Berlin.

Castor-Proteste beschäftigen Parlamente

Trotz der Rekordproteste gegen den Castor sollen die Transporte nach Gorleben bis 2017 fortgesetzt werden. Schon im kommenden Jahr wird der nächste Konvoi rollen, kündigte Niedersachsen Innenminister Schünemann an.

Nach dem von massiven Protesten begleiteten jüngsten Castortransport in das Zwischenlager Gorleben beschäftigen sich am Mittwoch die Parlamente in Berlin und Hannover mit der Atompolitik. Im Bundestag haben Linke und Grüne eine aktuelle Stunde zu den Castortransporten beantragt. In Hannover gibt Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) eine Regierungserklärung ab. Dabei geht es um die Sicherung der Demonstrationsfreiheit, aber auch um die Bekämpfung ihres Missbrauchs durch Gewaltaktionen. In einer aktuellen Stunde sprechen die Abgeordneten im Landtag auf Antrag der Grünen und Linken anschließend über die umstrittenen Laufzeit-Verlängerungen für Atomkraftwerke. Seit Freitag hatten im Wendland Zehntausende Menschen gegen den zwölften Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben protestiert.

dpa