Alleinerziehend und im Schichtdienst - geht das gut?
Wer alleinerziehend ist und ein Kind hat, muss sich zwischen Nachwuchs, Beruf und Privatleben aufteilen. Und mit dem schlechten Gewissen zurechtkommen, weil immer zu wenig Zeit fürs Kind bleibt. Eine Alternative: Nachtarbeit.
09.11.2010
Von Maike Freund

Es gab Zeiten, in denen sie verzweifelt war. In denen sie sich sagte: "So kann es nicht weiter gehen." In denen sie mit dem schlechten Gewissen kämpfte, weil ihr heute vierjähriger Sohn Janni sagte: "Mami, du sollst nicht arbeiten gehen." Und sie trotzdem gehen musste.

Marie Schulte (Name geändert) ist alleinerziehend. Zu dem Problem, allen gerecht zu werden - Sohn, Job, Geld - kommt ihr Beruf als Krankenschwester. Sie arbeitet in einem Bonner Krankenhaus. Dort beginnt der Frühdienst, wie meist in Pflegeberufen, um sechs. Zu diesem Zeitpunkt hat jedoch noch kein Kindergarten geöffnet. Die Spätschicht wiederum endet gegen 20 Uhr, auch das liegt außerhalb der normalen Kita-Öffnungszeiten. Auch im krankenhauseigenen Kindergarten.

Also entschied sich die heute 30-Jährige, in den Nachtdienst zu wechseln. Seitdem macht Marie Schulte die Nacht zum Tag. Sie verlässt ihr Zuhause in Rheinbach, wenn Janni ins Bett geht, und kommt zurück, wenn er wieder aufsteht. Dann bringt sie ihren Sohn in den Kindergarten, danach geht sie schlafen, bis etwa halb vier. Am Nachmittag bleibt Zeit zum gemeinsamen Fußballspielen - wenigstens mehr Zeit als früher. Denn da kam es vor, dass sie Janni 36 Stunden lang gar nicht zu Gesicht bekam. 

Zeitplan über Kreuz

Heute leben 1,6 Millionen Alleinerziehende in Deutschland, 90 Prozent von ihnen - 1,4 Millionen - sind Frauen. Rund 60 Prozent der Mütter - egal ob Single oder nicht - sind erwerbstätig. Aber: Zwei von fünf Alleinerziehenden haben einen Vollzeitjob, wohingegen nur etwa jede vierte Mutter mit Partner ganztags arbeitet.

Und obwohl so viele Single-Mütter fünf Tage die Woche arbeiten, gibt es überdurchschnittlich viele Kinder in Ein-Eltern-Familien, die von Armut gefährdet sind. Auch der Anteil der Hartz-IV-Empfänger wächst unter den Alleinerziehenden, es sind rund 500.000.

Kein Wunder, sagt Marie Schulte. Von ihrem Gehalt kann sie sich - trotz Zuschusses - keine Tagesmutter leisten. Hinzu kommt: Eine Nanny für ihre Schichtdienste konnte sie nicht finden. Hätte sie nicht die Unterstützung ihrer Eltern, Geschwister und seit rund einem halben Jahr auch die ihres neuen Partners, die Janni nachts betreuen, bliebe nur Hartz IV. Nicht, weil sie nicht arbeiten will, sondern weil sie dann nicht wüsste, wohin mit ihrem Kind. Auch deshalb sagt sie: "In den Nachtdienst zu wechseln, war die beste Entscheidung." Wie freilich Alleinerziehende ohne Unterstützung von Eltern oder Freuden Job und Kind managen, ist ihr ein Rätsel.

Regelmäßigkeit trotz Schichtdienst

Rund 712.000 Menschen arbeiten wie Marie Schulte in der Pflege - eine Branche, die ohne Nachtarbeit nicht auskommt. Gut zwei Drittel von ihnen arbeiten nachts, 85 Prozent der Pflegedienstler sind Frauen. Wie viele davon Single-Eltern sind, darüber gibt es keine Untersuchung. Simone Ehlers kann sich jedoch an viele Gespräche mit Alleinerziehenden erinnern, die sich um die Arbeitszeiten drehten.

Ehlers ist Pflegedirektorin des Wald- und des Johanniter-Krankenhauses in Bonn und Chefin der rund 450 Pflegemitarbeiter. Vor allem sind es Schichten von 8 bis 16 Uhr, die von Eltern gewünscht werden. Denn das sind die Zeiten, in denen die Kinder problemlos in der Kita unterkommen können. "In einem 24-Stunden-Betrieb sind diese Arbeitszeiten jedoch unmöglich zu realisieren", sagt Ehlers. Sie versucht trotzdem, den Wünschen gerecht zu werden. Deshalb gibt es die Regelung: Gibt es genug Mitarbeiter für Früh-, Spät- und Nachtdienst, wird nicht im Wechsel gearbeitet. Ihre Erfahrung: Es sind nicht wenige Alleinerziehende, die nur noch im Nachtdienst arbeiten wollen.

Mehr Zeit für die Tochter

Nicht nur Mitarbeiter im Krankenhaus zählen zu den Berufsgruppen, bei denen Nachtarbeit üblich ist, sondern auch Bus- und Zugpersonal oder Hotelangestellte. Mehr als drei Millionen Menschen arbeiten in Deutschland nachts. Noch einmal 2,4 Millionen Arbeitnehmer gehen teilweise nachts einem Job nach, in der Regel im Schichtdienst. Jeder zehnte Mann arbeitet zwischen 18 und 23 Uhr. Bei Frauen sind es sechs Prozent.

Lara Prodan (Name geändert) ist eine von ihnen. Auch die 39-Jährige ist Single-Mama und eigentlich Verkäuferin. Aber die Arbeitszeiten im Einzelhandel machten es ihr unmöglich, für die Betreuung ihrer 13-jährigen Tochter Nadja zu sorgen. Jetzt arbeitet sie drei Tage pro Woche nachts in einem Hotel. An zwei Tagen übernachtet die Oma bei Nadja, einmal pro Woche schläft Nadja bei ihrer Tante. Kommt es hart auf hart, bleibt Nadja nachts allein zu Hause. Mit dem Notfallhandy neben dem Bett und der Nachbarin, die dann Bescheid weiß.

"Kein Fluch, aber auch kein Segen" sei die Nachtarbeit, sagt Prodan. Aber es bleibe mehr Zeit, um sich um ihre Tochter zu kümmern. Auch sie schläft, wenn Nadja in der Schule ist. Nachmittags sieht sie ihre Tochter. Und Zeit für sich selbst? Davon bleibt nicht viel. Denn weil nur sie "beim ersten Liebeskummer tröstet, den Haushalt schmeißt, bei den Hausaufgaben hilft und für Nachschub im Kühlschrank sorgt, bleibt für alles weniger Raum, auch für die eigenen Bedürfnisse".

Rechtsansprüche contra "dringende betriebliche Erfordernisse"

Nachtarbeit wird im Arbeitszeitgesetz geregelt. Im Juristendeutsch heißt das: Ein Arbeitnehmer kann verlangen, "auf einen für ihn geeigneten Tagesarbeitsplatz" umgesetzt zu werden, "wenn im Haushalt des Arbeitnehmers ein Kind unter zwölf Jahren lebt, das nicht von einer anderem im Haushalt lebenden Person betreut werden kann." Allerdings gilt das nur, wenn dem nicht "dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen".

Irene Rotau wollte vom ambulanten Dienst in den Nachtdienst versetzt werden. Sie hatte sich das gut überlegt. Einer der Gründe: mehr Zeit für ihre zwei Kinder. Die 35-jährige Single-Mutter aus Bonn hatte gedacht: "Du kommst morgens nach Hause, bist müde, legst dich hin und fertig." Die anfänglichen Schlafstörungen hatte sie nicht einkalkuliert. Wenn sie morgens nach dem Nachtdienst im Krankenhaus nach Hause kam, wälzte sich die Krankenschwester müde im Bett oder wachte, kaum eingeschlafen, immer wieder auf. Kollegen hatten sie gewarnt, aber sie hatte die Warnung abgetan: "Ich bin jung, das schaffe ich schon." Und nun konnte sie nicht schlafen.

Mittlerweile hat sie den Schlaf im Griff. Und auch nach rund einem halben Jahr hat Rotau ihren Wechsel in den Nachtdienst nicht bereut. Könnte sie erneut wählen, würde sie sich wieder für diesen Werdegang entscheiden, denn Krankenschwester ist ihr "Traumberuf", sagt sie. Auch im Nachtdienst.


Maike Freund ist freie Journalistin in Dortmund.