"Tatort: Die Unsichtbare", 14. November, 20.15 Uhr im Ersten
Das ZDF hat im Frühjahr eine ganz ähnliche Geschichte erzählt, allerdings aus Perspektive einer Betroffenen. Carolina Vera, im "Tatort" aus Stuttgart als Staatsanwältin beschäftigt, spielte in dem Film "Schutzlos" eine Südamerikanerin, die sich illegal in Deutschland aufhält. Die Botschaft damals: Das Dasein ohne Papiere ist ein Leben in ständiger Angst und mit vielen Pflichten, aber ohne Rechte.
Die Ukrainerin Taya, die zu Beginn dieses "Tatorts" eines Morgens tot am vereisten Ufer eines Sees gefunden wird, hat auch so ein Leben im Schatten hinter sich. Die Recherchen führen die beiden Kommissare Lannert und Bootz in eine Parallelwelt und ihre Freundschaft an eine Grenze. Während Lannert (Richy Müller) auf Seiten der „Illegalen“ ist, will sich Bootz (Felix Klare) an die Vorschriften halten: Selbstverständlich müssen Polizisten Meldung machen, wenn sie feststellen, dass sich jemand ohne Aufenthaltserlaubnis im Land aufhält. Ohne den Kollegen zu informieren, hat Lannert eine Bekannte der toten Frau aufgestöbert, auch sie eine „Illegale“. Er setzt auf die Devise Vertrauen gegen Vertrauen, denn die Zeit drängt: Die Ukrainerin hat zwei Kinder hinterlassen, die nun auf sich allein gestellt sind. Die kleine Tochter leidet an einem Herzfehler und gerät in akute Lebensgefahr, wenn ihr die Tabletten ausgehen. Aber die Kinder sind untergetaucht.
Das Drehbuch des Ehepaars Eva und Volker A. Zahn („Ihr könnt euch niemals sicher sein“) bietet also gleich doppelte Spannung, weil die Polizisten nicht bloß den Mörder, sondern auch die Kinder Deniz und Ella suchen. Diese zweite Ebene ist naturgemäß am emotionalsten, zumal Regisseur Johannes Grieser die beiden jungen Darsteller Lukas Schust und Ella Zirzow exzellent geführt hat. Da der Film Deniz und Ella in die Parallelwelt begleitet, übernehmen sie gewissermaßen die Rolle von Fremdenführern. Bei ihren Ermittlungen kommen Lannert und Bootz hingegen nicht weiter. Eine Spur führt zu einem Freund (Martin Brambach) der Toten, eine andere zu einem Mitarbeiter (Karl Kranzkowski) der Ausländerbehörde. Beide sind nicht so unschuldig, wie sie sich geben, aber auch keine Mörder.
Die Qualität des von Grieser zurückhaltend inszenierten Films liegt nicht zuletzt darin, die für Geschichten dieser Art typischen Fallstricke zu vermeiden: Niemand hält ein Grundsatzreferat über die Lage der Rechtlosen, keiner resümiert das Anliegen des Films in Form eines leidenschaftlichen Plädoyers. Einzig Ulrich Gebauer muss als Rektor erklären, warum die Kinder zur Schule gehen können, obwohl sie nicht gemeldet sind. Und wenn Lannert sein Verhalten damit rechtfertigt, er wolle sich nicht „zum Handlanger einer irrsinnigen Abschiebepraxis“ machen, ist dieses engagierte Bekenntnis fast schon zuviel des Guten. Um so schöner haben Buch und Regie die lakonische Versöhnung der kurzfristig überworfenen Kollegen eingefädelt. Irritierend sind allein die Folgen des Klimawandels, die in Stuttgart offenbar dazu geführt haben, dass sich permanent die Witterungsbedingungen ändern: gerade noch lag überall Schnee, dann ist alles weggetaut, aber kaum sind die Kommissare mal kurz drinnen, ist schon wieder alles weiß.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).