"Suchkind 312", 11. November, 21.45 Uhr im NDR
"Das ist ja wie im Groschenroman!", schimpft Oliver Stritzel als belogener und betrogener Ehemann. Damit liegt er völlig richtig, und das in mehrfacher Hinsicht: Das Drehbuch zu dieser ergreifenden Geschichte einer Frau, die in den Wirren der Flucht aus Ostpreußen ihre Tochter verloren hat, basiert in der Tat auf einem Groschenroman; wenn auch nicht buchstäblich. 1946 wurde Eduard Rhein, dessen Leben gleichfalls ein spannender Filmstoff wäre, Gründungs-Chefredakteur von Axel Springers Radiozeitschrift "Hörzu". Weil ihm, wie es überliefert wird, das Schicksal seiner Putzfrau so nahe ging, rief er die Aktion "Suchkind" ins Leben. In jeder Ausgabe der "Hörzu" wurde ein Kind vorgestellt, das seine Eltern verloren hatte. 300.000 Fälle dieser Art hat das Rote Kreuz insgesamt bearbeitet; bis auf 400 konnten alle zu einem glücklichen Ende geführt werden.
Rhein wiederum, der unter verschiedenen Pseudonymen auch literarisch tätig war, erzählte die Geschichte von "Suchkind 312" als Fortsetzungsroman für seine Zeitschrift. Die heißt im Film nun "Schalt ein", ist ansonsten aber originalgetreu. Ohnehin hat sich Ausstatterin Heike Bauersfeld redlich bemüht, die Fünfzigerjahre möglichst authentisch wieder ins Leben zu rufen. Der liebevoll zusammengestellte Gelsenkirchener Barock in der Wohnung von Richard und Ursula Gothe, die Kostüme, die Autos: alles passt. Allein Christine Neubauer fällt mitunter aus dem Rahmen, wenn sie selbst banalste Dialogzeilen wie großes Drama deklamiert (Regie: Gabi Kubach).
Dabei ist die Geschichte (Susanne Beck, Thomas Eifler) ergreifend genug: Suchkind 312 ist natürlich niemand anders als Ursulas einst durch ein grimmiges Missgeschick abhanden gekommene Tochter Martina, gezeugt unter reger Teilnahme des schneidigen preußischen Offiziers Lenau, der später "im Krieg geblieben" ist (Timothy Peach kennt sich dank diverser gemeinsamer Filme bestens in Neubauers Gefühlshaushalt aus). Aber wie das Leben so spielt: Tatsächlich steckte Lenau sieben Jahre in einem russischen Lager. Als er die Suchanzeige sieht, weiß er genau: Das muss Martina sein, schließlich hat sie die Augen ihrer Mutter. Nun könnten eigentlich alle glücklich sein, doch Ursula hat längst eine neue Familie, und weil der garstige Gatte ja offensichtlich keine Groschenromane mag, stellt er sein bislang so vorbildlich devotes Frauchen vor die Wahl. Am Ende tut einem Richard, von Stritzel zwar als Patriarch, aber nicht ohne Herz verkörpert, fast leid, denn für die Heldin wendet sich alles zum Guten; er aber verliert nicht nur seine Frau, sondern auch den gemeinsamen Sohn.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).