"Rosannas Tochter", 10. November, 20.15 Uhr im Ersten
Schon die erste Einstellung dieses Films ist von unangenehmer Intensität: Ein Mädchen liegt auf einer Wiese. Man spürt, dass die Ruhe trügerisch ist. Plötzlich quillt Blut aus ihrem Mundwinkel. Dann kippt die Kamera, der Blick öffnet sich, und man sieht ein völlig demoliertes Auto, das gegen einen Baum gerast ist. Gegen Ende wird der Film das Eingangsbild zitieren; erneut ist das Mädchen dem Tod nahe. Zwischen diesen beiden Momenten liegt ein Drama, das eine unbequeme Geschichte erzählt. Dass man ihr dennoch bereitwillig folgt, ist den herausragenden Leistungen der drei Hauptdarsteller zu verdanken.
Sie verkörpern ausnahmslos Charaktere mit Schattenseiten: Anwalt Josch (Fritz Karl) opfert sich zwar für seine asylsuchenden Klienten auf, ist im privaten Umfeld dafür um so rücksichtsloser. Als seine frühere Lebensgefährtin Rosanna bei einem Autounfall stirbt, will er die 14jährige Tochter Aimée zu sich nehmen. Die Begeisterung von Gattin Nela (Veronica Ferres) hält sich in Grenzen: Gerade sind die Gelder für ihr Forschungsprojekt bewilligt worden. Sie wollte ohnehin nie Kinder; erst recht kein fremdes. Die schwierigste Rolle in dieser Konstellation hat jedoch Mathilde Bundschuh. Ihrem Namen zum Trotz ist Aimée alles andere als liebenswert; sie wirkt wie ein Wesen wie aus einem Horrorfilm. Mit tiefgründigem Lächeln treibt das Mädchen konsequent einen Keil zwischen Josch und Nela, weil sie den Ziehvater für sich allein haben will. Der jungen Schauspielerin gelingt der Balanceakt zwischen Provokation und Mitgefühl beängstigend gut. Da die Geschichte bevorzugt aus Nelas Perspektive erzählt wird, vergisst man bald, dass das zunächst stumme Mädchen innerlich zerbrochen ist und ihr Verhalten selbst dann ein Hilferuf ist, als sie sich Josch wie eine Lolita an den Hals wirft. Am Ende sollen Drogen helfen, über den schmerzlichen Verlust hinwegzukommen.
Erneut beweist die kürzlich für "Die Drachen besiegen" mit dem Robert-Geisendörfer-Preis ausgezeichnete Franziska Buch, Regisseurin diverser Kinder- und Familienfilme ("Emil und die Detektive", "Bibi Blocksberg und das Geheimnis der blauen Eulen"), ihr herausragendes Talent bei der Führung junger Schauspieler. Das auf dem gleichnamigen Roman von Amelie Fried basierende Drehbuch stammt von Grimme- und Fernsehpreisträger Christian Jeltsch ("Einer geht noch"); ein größerer Kontrast zu seinem Krimi "Kreutzer kommt" ist kaum denkbar.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).