Obama in Indonesien: Christen warten auf ein Zeichen
Offiziell beheimatet Indonesien viele Religionen, doch das Erstarken der radikalen Muslime besorgt nicht nur die vielen Christen des Landes. Sie hoffen auf klare Worte des US-Präsidenten.
09.11.2010
Von Michael Lenz

Auf Java versetzt der Vulkan Merapi die Menschen in Angst und Schrecken. Schon jetzt gilt der Ausbruch des Vulkans als der schwerste seit mehr als einhundert Jahren. Hunderttausende sind auf der Flucht vor einer befürchteten Mega-Eruption. Bereits vor vier Jahren stand der Merapi vor dem Ausbruch. Er spuckte Asche, Lava und glühend heiße Gaswolken. Der große Ausbruch blieb jedoch aus, und nach zwei aktiven Monaten schlief der Merapi wieder ein.

Am Dienstag ist US-Präsident Barack Obama in Indonesiens Hauptstadt Jakarta eingetroffen, seiner alten Heimat, wo er als Kind einige Jahre mit seiner Mutter und seinem damaligen indonesischen Stiefvater lebte. Obwohl sein Stiefvater, wie die Mehrheit der Indonesier, Muslim war, besuchte Obama zunächst eine katholische Schule in Jakartas Stadtteil Menteng Tebet. Religiöse Toleranz war lange Zeit ein Markenzeichen Indonesiens, der Nation mit dem größten muslimischen Bevölkerungsanteil der Welt.

Unter der Oberfläche der indonesischen Gesellschaft aber gärt es wie im Merapi. Immer häufiger gehen islamischer Hardliner gegen Christen und Angehörige anderer Religionen vor und spielen sich im Namen Allahs als Sittenwächter auf, die ihre Vorstellungen von Moral und Gesellschaft jedem aufzwingen wollen - moderaten Muslimen ebenso wie Christen, Buddhisten, Hindus und Animisten.

Messerattacke auf die Pastorin

Ob es sich aber bei den Religionsspannungen lediglich um eine Art gesellschaftliches Rumpeln der Post-Suharto-Ära handelt, in der sich Indonesiens Gesellschaft und Machtstrukturen nach Jahrzehnten der Diktatur neu sortieren, oder ob sie Symptome eines großen Ausbruchs sind, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander wie beim Merapi.

Die jüngsten Ausbrüche religiöser Spannungen ereigneten sich in diesem Herbst in Bekasi, einer Großstadt auf Java, die zur Metropolenregion Jakarta gehört. Immer wieder störten Anhänger radikaler Muslime unter der Führung der "Islamischen Verteidigungsfront" (FPI) Gottesdienste der "Huria Kristen Batak Protestant Kirche" (HKBPK). Trauriger Höhepunkt war im September der tätliche Angriff auf eine Pastorin der Batak, die durch Messerstiche eines fanatischen Muslims schwer verletzt wurde.

Nach einer Phase des Rückgangs von Gewalt in den vergangenen Jahren gegen Religionen hat die Zahl der Angriffe radikaler Muslime gegen christliche Kirche wieder stark zugenommen. "In diesem Jahr hat es schon mehr als 40 Anschläge gegeben", sagt Theophilus Bela, Präsident des "Christlichen Kommunikationsforums Jakarta". Ein Hotspot der Attacken ist neben Bekasi die Großstadt Bogor in Westjava. Aber auch von der Nachbarinsel Sumatra wurden vereinzelte Übergriffe gemeldet.

Zustrom in das wirtschaftliche Zentrum

Paul Oppenheim, Oberkirchenrat der EKD hat unlängst Jakarta besucht und dabei sich auch vor Ort in Bekasi mit den Problemen vertraut gemacht. Seiner Einschätzung nach handelt es sich "nicht um staatlich organisierte Einschränkung der Religionsausübung, sondern um einen Konflikt zwischen der einheimischen Bevölkerung der muslimischen Javaner und der zugewanderten Minderheit protestantischer Bataks". Fremdenfeindlichkeit und sozialer Neid spielten dabei ebenso eine Rolle wie die religiösen Differenzen.

In der Metropolregion Jakarta mit 24 Millionen Einwohnern schlägt das wirtschaftliche Herz Indonesiens. In der Megametropole befinden sich 65 Prozent der Industrie des Landes. Hierhin zieht es protestantische Batak aus dem Norden Sumatras, Katholiken aus Flores und Timor auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben. In vormals reinen muslimischen Wohngebieten entstehen christliche Gemeinden. Das nutzen islamische Hardliner der FPI für ihre Ziele aus und warnen in Brandreden vor "christlicher Überfremdung".

Im Visier der islamischen FPI ist aber auch die ebenfalls islamische Ahmadijah-Sekte, die als Vereinigung von Häretikern angesehen wird. Die FPI - aber auch weniger radikale Muslime in Indonesien - fordern ein Verbot der Sekte, die seit Jahrzehnten in Indonesien heimisch ist und bis vor kurzem ungehindert und frei von Gewalt ihren Glauben praktizieren konnte. Jetzt aber werden immer häufiger Moscheen der Ahmadijah Ziel von Attentaten. Die Regierung Indonesiens hat der Sekte zudem die öffentliche Ausübung ihres Glaubens verboten.

Glaubensvereinigung oder kriminelle Bande?

Schätzungen gehen von etwa 200.000 Mitgliedern der FPI aus, die sich zunehmend als Staat im Staate geriert. Über sie gehen die Meinungen auseinander. Manche halten sie für eine Bewegung konservativer Islamisten, die aus Indonesien einen islamischen Gottesstaat machen möchten. Für andere ist die FPI nichts weiter als eine kriminelle Bande, die mit Mafiamethoden Kirchen und westliche Bars, Pornohändler auf den Märkten Jakartas und Bordellbetreiber erpresst. Vermutlich ist die FPI beides. Aber eines gilt als sicher: Die Islamisten genießen im Kampf der indonesischen Eliten um wirtschaftliche und politische Macht die Unterstützung von Teilen des Militärs, der Polizei und der politischen Parteien. Längst hat die FPI auch die beiden großen muslimischen Massenorganisationen infiltriert.

Während die Führungen der traditionalistischen Nahdatul Ulama sowie der reformistisch-orthodoxen Muhammadiyah sich noch von der FPI distanzieren, machen örtliche Gruppierungen der beiden Organisationen bereits gemeinsame Sache mit der weiter erstarkenden FPI.

Ulil Abshar-Abdalla, Gründer des "Liberal Islam Network", warf in einem Beitrag für die Tageszeitung "Jakarta Globe" Indonesiens Regierung die "Unterstützung religiöser Intoleranz" vor. Mit ihm fragen sich viele der moderaten Indonesier - die bislang die schweigende Mehrheit bilden -, warum Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono den Anstieg der religiösen Spannungen und das Treiben der FPI zulässt.

Mit großer Mehrheit hatten die Wähler im vergangenen Jahr den früheren General eine zweite Amtszeit beschert und damit seinen säkularen Kurs, seine Politik gegen Korruption und sein Eintreten für eine demokratische Entwicklung Indonesiens unterstützt. Gleichzeitig hatten alle islamischen Parteien heftige Verluste erlitten - die Indonesier erteilten religiösen Ideologen eine klare Absage und sprachen sich für sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt aus. Gleichwohl äußert sich Susilo Bambang Yudhoyono kaum, und wenn nur vage, zu den wachsenden religiösen Spannungen.

Erwartungen an Barack Obama

Hoffnungen setzen Indonesiens Christen auf den US-Präsidenten: "Wir gehen davon aus, dass Obama bei seinen Gesprächen mit unserem Präsidenten auch die zunehmende Gewalt gegen Christen in Indonesien ansprechen wird", sagt Theophilus Bela. Ende November wird eine große Delegation hochrangiger Vertreter aller Religionen Indonesiens zu einer offiziellen Reise in die USA aufbrechen, um mit Politikern, Diplomaten, Kirchenvertretern und Menschenrechtsorganisationen über die Nöte der Religionen in ihrer Heimat zu sprechen.

Zunehmend aber melden sich auch die moderaten Indonesier zu Wort. In Leserbriefen, Blogs und in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter stellen sie sich gegen die "Islamische Verteidigungsfront". Obendrein nähert sich die Weihnachtszeit, auf die sich christliche Indonesier freuen, die sie aber auch fürchten - Weihnachtsgottesdienste sind in der Vergangenheit immer wieder Ziel von Angriffen radikaler Muslime geworden.

Die säkulare Verfassung Indonesiens erkennt das Christentum als eine der offiziellen Religionen an, und dieser Pluralismus steht nicht nur auf dem Papier. So finden sich zu Ostern und zu Weihnachten immer wieder Gruppen von Muslimen zum Schutz der christlichen Gottesdienste vor ihren eifernden Glaubensbrüdern zusammen. So wird gerade an christlichen Feiertagen das tolerante Indonesien sichtbar.


Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.