Castor-Transport startet nach Gorleben
Der Castor-Transport mit hoch radioaktivem Atommüll ist am Dienstagmorgen mit rund eintägiger Verspätung auf seine letzte Etappe zum Zwischenlager Gorleben gestartet. Eine Sitzblockade mit tausenden Atomgegnern und eine zwölfstündige Blockade der Umweltorganisation Greenpeace mit einem Lastwagen hatten die Abfahrt vom Verladebahnhof Dannenberg massiv verzögert.

Der diesjährige Castor-Transport ist der bisher langwierigste in Deutschland. Er war am Freitagnachmittag per Zug in der Nähe der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague gestartet. In Dannenberg im Wendland wurden die elf Behälter mit hoch radioaktivem Atommüll auf Tieflader verladen, da die letzten 20 Kilometer nach Gorleben auf dem Straßenweg bewältigt werden müssen. Der zuvor längste Transport hatte 2008 rund 79 Stunden gedauert.

Schienen- und Straßenblockaden stellten die Polizei in diesem Jahr immer wieder vor eine Geduldsprobe. Allein vor dem Zwischenlager Gorleben harrten tausende Castor-Gegner seit Sonntag 45 Stunden lang auf der Straße aus und verbrachten zwei Nächte bei Minusgraden, bevor sie weggeräumt wurden.

Nach Angaben der Deutschen Polizeigewerkschaft schützen bis zu 20.000 Polizisten den Transport. Wie hoch die Kosten sind, ist noch unklar. Der Protest richtete sich auch gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten und die mögliche Einrichtung eines Endlagers für Atommüll in der Nähe des oberirdischen Zwischenlagers Gorleben. Bei den Auseinandersetzungen entlang der Bahnstrecke gab es nach Angaben der Kampagne "Castor Schottern" fast 1.000 Verletzte.

Kirche befürwortet Sitzblockaden der Castor-Gegner

Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, befürwortet Sitzblockaden gegen den Castor-Transport nach Gorleben als legitime Protestform. "Wenn es in dieser Weise geschieht, denke ich, ist es ein gutes Zeichen für unsere Demokratie", sagte Schneider am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin".

Gewalttätige Auseinandersetzungen wie zwischen Atomkraftgegnern und Polizisten am Wochenende lehnte der rheinische Präses aber deutlich ab: "Wir müssen solche Dinge sofort eindämmen, denn wir wollen nicht Formen des Krieges miteinander praktizieren."

Schneider sprach sich zudem gegen bisherige Konzepte für die Endlagerung von Atommüll aus: "Bei der Endlagerung müssen wir Zeiträume anpeilen, die gehen weit über das hinaus, was ein Mensch verantworten kann", sagte er. "Wir können real gesehen gar keine Form der Verantwortung übernehmen."

Der 63-Jährige steht am Dienstag als einziger Kandidat für die Nachfolge der im Februar zurückgetretenen Margot Käßmann zur Wahl.

Gewerkschaft: Schwarz-Gelb mitverantwortlich für Proteste

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, machte die schwarz-gelbe Bundesregierung für die massiven Anti-Atom-Proteste im Wendland mitverantwortlich. "Die Proteste haben zugenommen - das war nach der Aufkündigung des Grundkonsenses durch die Bundesregierung auch nicht verwunderlich", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" (Dienstag) in Halle. "Der rot-grüne Ausstiegsbeschluss war ein Fortschritt und hat die Atomfrage weitgehend in den Hintergrund gedrängt. Dieser Grundkonsens ist aufgegeben worden. Und wer das tut, der muss damit rechnen, dass dies in der Gesellschaft zu Konflikten führt ­ auch zu Gewalt."

Nach Ansicht von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) muss sich die Atomindustrie nicht an den Kosten für den Castor-Polizeieinsatz beteiligen. "Was hier geschieht, geschieht als legale Tätigkeit. Diese Kernkraftwerke und diese Transporte sind genehmigt", sagte Röttgen in der ARD-Talksendung "Beckmann" am Montagabend. Eine sichere, zumindest vorläufige Deponierung des Atommülls in Zwischenlagern sei Aufgabe des Staates. "Wir haben Kernenergie in der Vergangenheit genutzt, und diese Folgen müssen wir heute tragen. Dafür zahlen wir Steuern - das ist so."

 

Greenpeace als Bier-Werbebotschafter

Bisher war die Hütt-Privatbrauerei aus Baunatal über Nordhessen hinaus nur wenigen Menschen bekannt. Doch nachdem Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace mit einem LKW, auf dem der Schriftzug "Hütt Luxus Pils - so herzerfrischend anders" prangte, die Polizei beim Castor-Transport im Wendland austrickste, wird der Brauerei größere Aufmerksamkeit zuteil.

Knapp 12 Stunden brauchte die Polizei, um zwei Aktivisten, die sich in der Nähe des Verladebahnhofs Dannenberg mit dem Lastwagen im Boden verkeilt hatten, wieder herauszulösen. Damit bei einer möglichen Polizeikontrolle die ganze Aktion nicht aufliegen konnte, waren in den Laster Dutzende Kisten mit Leergut gestellt worden.

Der respektvolle Kommentar einer Polizistin: "Das war der Oberknaller, echt 'ne geile Aktion." Gegen die Aktivisten wird nun wegen versuchter Nötigung ermittelt. Greenpeace selbst feierte die Aktion - sie reihe sich "fantastisch ein in die ganzen Aktionen beim Castor-Protest". "Ich finde das perfekt gemacht", sagt denn auch die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, zum Coup von Greenpeace. Sie hätten die Lücke trotz aller Überwachung gefunden.

Castor-Gegner bestens vernetzt und informiert

An Schlaf ist während des Castor-Transports kaum zu denken. Und wenn, dann lassen SMS-Nachrichten seiner Gegner das Handy ständig vibrieren. Die Kampagne "X-tausendmal quer" teilt etwa um 3.19 Uhr am Dienstagmorgen mit: "X-tausendmal quer blockiert Castor-Transportstrecke zum Zwischenlager seit über 40 Stunden mit jetzt 4000 Menschen - gewaltfrei und entschlossen".

Um 3.07 Uhr heißt es: "Trecker-Blockade in Grippel aufgelöst: Polizeinachschub am Zwischenlager. Beton-Pyramide in Gorleben geräumt. Polizei verzweifelt an Greenpeace Bier-LKW." Wenn bei Blockaden in der kalten Nacht nicht mehr genug Journalisten dabei sind, wird der Nachricht auch schon mal gern der Zusatz "Presse dringend erwünscht" beigefügt. So fühlen sich die Castor-Gegner besser vor möglichen Konflikten mit der Polizei geschützt.

Wenn angesichts der Masse von Demonstranten und Polizisten, die zahlenmäßig den 51.000 Einwohnern des Landkreises Lüchow-Dannenberg ebenbürtig sind, das Handynetz mal wieder zusammenbricht, hilft die ebenfalls starke Kommunikation via Twitter. Mit den Mitteln moderner Kommunikation gelingt es oft blitzschnell, Blockaden zu verstärken.

Im Internet informiert auch ein Castor-Ticker über jede noch so kleine Entwicklung. Etwa, dass die Polizei am Dienstagmorgen noch mal nachmaß, ob die Tieflader mit den Castor-Behälter nicht doch an dem querstehenden Greenpeace-LKW vorbeipassen. Oft sind sogar die Demonstranten besser informiert als die Polizei. "Wir gucken auch in den Castor-Ticker, wenn wir etwas wissen wollen", sagt ein junger Polizist aus Nordrhein-Westfalen.

Castor-Streit in Berlin

Der politische Streit über die Atompolitik ging indes unvermindert weiter. Der Vorsitzende Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, machte die Bundesregierung mitverantwortlich für die Proteste. Der rot-grüne Ausstiegsbeschluss sei ein Fortschritt gewesen und habe die Atomfrage in den Hintergrund gedrängt. Dieser Grundkonsens sei aufgegeben worden. Wer so etwas tue, der müsse damit rechnen, dass dies in der Gesellschaft zu Konflikten führe, sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" (Dienstag).

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) stellte klar, dass alternative Standorte für ein Endlager erst erkundet würden, wenn Gorleben sich als ungeeignet erweise. "Man kann nicht zwei- oder dreimal Gorleben in Deutschland stemmen", sagte er beim Nachrichtensender n-tv.

Eine transparente und ergebnisoffene Suche nach einem Endlager forderte der Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Jürgen Trittin. Er habe Zweifel an der Eignung von Gorleben, doch das müsse nicht heißen, dass jeder Salzstock ungeeignet sei, sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Dienstag).

Aktuelle Stunde am Mittwoch im Bundestag

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderte angesichts der anhaltenden Blockaden zur Mäßigung auf. Er könne nur an alle Beteiligten appellieren, die Balance im Auge zu behalten zwischen dem Demonstrationsrecht und den gesetzlich geregelten Notwendigkeiten sowie internationalen Verträgen der Zwischenlagerung atomarer Brennstoffe, die sich unabhängig von Mehrheitsverhältnissen im Bundestag ergeben. Dies sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Dienstag).

Mit dem Beschluss zur Verlängerung der Atomlaufzeiten habe die Bundesregierung einen bereits befriedeten gesellschaftlichen Großkonflikt neu entfacht, warfen SPD, Grüne und Linke der schwarz-gelben Koalition am Montag vor. Der Bundestag wird nun am Mittwoch über die Demonstrationen gegen die Atommülltransporte ins Wendland diskutieren.

Amnesty fordert Kennzeichnung von Polizisten

Amnesty International und deutsche Anwaltschaft fordern mit Blick auf den Polizeieinsatz gegen Castor-Blockierer bessere Möglichkeiten, um Polizisten im Einsatz zu identifizieren. Eine Kennzeichnung würde helfen, Polizisten bei rechtswidrigen Übergriffen zu identifizieren und zur Rechenschaft zu ziehen, sagte der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Wolfgang Ewer, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag).

"Die Polizei setzt zu Recht das Gewaltmonopol des Staates durch", sagte Ewer. "Im Gegenzug muss eine effektive Kontrolle ihres Handelns in einem Rechtsstaat aber selbstverständlich sein." Eine persönliche Benachteiligung der Polizisten könne dabei vermieden werden, wenn auf der Uniform "nicht der Name, sondern lediglich eine Nummer" stehe.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Deutschland fordert unabhängige Sonderermittler der Bundesländer für eine neutrale Untersuchung von Vorwürfen gegen Polizisten. "Der Einsatz beim Castor-Transport belegt einmal mehr, wie wichtig eine unabhängige Kontrolle möglicher Polizeiübergriffe ist", sagte ihre Generalsekretärin Monika Lüke dem Blatt. Es reiche nicht, wenn interne Einheiten in Polizeipräsidien ihre eigenen Kollegen kontrollierten.

Die Innenminister der Länder sollten sich zudem um die bundesweite Kennzeichnungspflicht für Polizisten kümmern. "Oftmals scheiterten Verfahren bei Vorwürfen wegen Misshandlung oder Polizeigewalt daran, dass die betroffenen Polizisten nicht identifiziert werden können", sagte Lüke. Die Kennzeichnung der Polizisten wird auch von anderen Organisationen gefordert, darunter den Jungsozialisten.

dpa