Nikolaus Schneider: Steuermann mit politischem Profil
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, wird am Dienstag voraussichtlich an die Spitze der 25 Millionen Protestanten in Deutschland gewählt. Wie seine Vorgängerin Margot Käßmann erhebt er engagiert die Stimme in sozialen und politischen Fragen.
08.11.2010
Von Michael Evers

Auch ohne Käßmann verliert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nicht an Biss: Wenn Präses Nikolaus Schneider an diesem Dienstag zum Nachfolger der nach einer Alkoholfahrt zurückgetretenen Bischöfin gewählt wird, bekommt die Kirche einen Steuermann mit politischem Profil. Die Atompolitik, der Afghanistan-Einsatz, die Integrationsdebatte, Hartz IV oder die Ladenöffnung an Sonntagen - zu allem findet der 63-jährige Rheinländer ebenso kritische und klare Worte wie seine Vorgängerin.

Als mit Käßmann vor einem Jahr erstmals eine Frau an die Spitze der 25 Millionen Protestanten gewählt wurde, fiel Schneider das Amt des Stellvertreters im Schatten der medienpräsenten Bischöfin zu. Nach dem plötzlichen Abgang im Februar trat Schneider in stürmischen Zeiten ans Ruder, Bedenkzeit hatte er praktisch keine. Unter seinem amtierenden Vorsitz glätteten sich schon bald die Wogen. Und schnell war klar, dass der Präses regulärer Nachfolger Käßmanns werden soll. Andere auftrittsstarke Kandidaten hat die Kirche derzeit ohnehin nicht. Das hatte sich bereits vor einem Jahr gezeigt, als Käßmann als klare Favoritin ins Rennen um den EKD-Ratsvorsitz ging.

Sohn eines Stahlarbeiters

Schneider wurde 1947 in Duisburg als Sohn eines Stahlarbeiters geboren. Nach seiner Ordination im Jahr 1976 arbeitete er zunächst als Gemeindepfarrer in Duisburg-Rheinhausen, wo er sich stark für die vom Strukturwandel betroffenen Stahlarbeiter und Bergleute einsetzte. Auch als Superintendent des Kirchenkreises Moers ab 1987 blieb er seinem Motto treu, "den Sorgen der Menschen Ausdruck und eine Stimme geben" zu wollen. Der fußballbegeisterte Familienvater suchte stets das Gespräch mit allen Gesellschaftsschichten. 1997 wurde er Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland. 2003 trat er die Nachfolge des rheinischen Präses Manfred Kock an und wurde damit zum Oberhaupt der mit rund drei Millionen Gläubigen zweitgrößten deutschen Landeskirche.

Die Aufgaben, vor denen der künftige Ratsvorsitzende der EKD steht, sind binnen eines Jahres nicht leichter geworden. Immer weniger besuchte Gottesdienste, absehbar weiter schrumpfende Finanzen und eine in weiten Teilen stärker säkulare Gesellschaft - die christliche Kirche in Deutschland befindet sich weiterhin in der Krise. "Entscheidend für uns wird es sein, ob es uns gelingt, so von Gott zu reden, dass die Menschen uns verstehen, dass es einladend ist", sagte Schneider auf der EKD-Synodentagung in Hannover. Dazu hat die evangelische Kirche 2007 eine Reform ihrer Strukturen angestoßen, zur Diskussion stehen in Hannover auch Rolle und Bild des Pfarrers in der Zukunft.

Die Politik ins Gebet nehmen

Dass die Protestanten die Politik auch künftig kritisch ins Gebet nehmen, das hat Schneider in seiner Antrittsrede vor der Synode bereits bewiesen. Ohne ethische Legitimation sei der Afghanistan-Einsatz, unverantwortbar der Atomkurs, erschreckend die Bildungsungleichheit - Schneider bringt die kirchliche Sicht auf den Punkt. Und diese liegt nicht immer klar fest, wie sich beim strittigen Thema der Präimplantationsdiagnostik (PID) bereits gezeigt hat. Die EKD war bisher gegen Embryonentests, Schneider indes empfiehlt auch angesichts des medizinischen Fortschritts eine ethische Neubewertung. Er präsentiert sich dem Kirchenparlament dabei auch als Mann der Debatte und vielleicht weniger als Käßmann als charismatische Führungsfigur im ständigen Rampenlicht.

Wenn Schneider in das Spitzenamt gewählt wird, wird Käßmann dies nur aus der Ferne verfolgen. Erstmals seit vielen Jahren ist sie nicht mehr bei dem Spitzentreffen der Protestanten dabei - die frühere Bischöfin hält sich für einen Studienaufenthalt in den USA auf und bloggt regelmäßig für evangelisch.de. Schneider verliert Käßmann dennoch nicht aus dem Blick: "Wir freuen uns, wenn sie eine wichtige Stimme unserer Kirche bleibt."

dpa