Der Moderator: Schneider verkörpert einen neuen Stil
Der rheinische Präses Nikolaus Schneider bewirbt sich am Dienstag um den Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) - an seiner Wahl gibt es kaum Zweifel.
08.11.2010
Von Karsten Frerichs

Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sieht Möglichkeiten kirchlicher Einflussnahme auf die Politik zuvorderst bei ethischen Fragestellungen. "Wir sind keine Politikerinnen und Politiker", sagte Schneider am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". Doch wolle die Kirche gesellschaftliche Prozesse begleiten und einen ethischen Rahmen aufspannen, in dem Politik sich bewegt. Schneider äußerte "großen Respekt" vor Politikern. Sie seien "häufig sehr viel nachdenklicher, als es nach außen erscheint".

Nikolaus Schneider: Bewerbung um EKD-Ratsvorsitz

In der evangelischen Kirche sind forsch vorgetragene Bewerbungen um Spitzenämter verpönt. Nicht selten haben Synoden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Parlamente der Landeskirchen gerade jene abgestraft, die selbstbewusst und öffentlichkeitswirksam Ambitionen bekundeten. Nikolaus Schneider weiß das. Und gerade weil der 63-Jährige am Sonntag zu Beginn der EKD-Synode in Hannover keine Bewerbungsrede hielt, sondern eher einen zurückhaltenden Rechenschaftsbericht zu seiner Arbeit als amtierender Ratsvorsitzender vorlegte, scheint seiner Wahl zum obersten Repräsentanten der fast 25 Millionen Protestanten in Deutschland am Dienstag nichts mehr im Wege zu stehen.

Seit dem Jahr 2003 leitet Schneider als Präses die Evangelische Kirche im Rheinland. Als ihn die EKD-Synode vor einem Jahr in Ulm zum Stellvertreter der charismatischen Landesbischöfin Margot Käßmann wählte, war die Arbeitsteilung klar: Käßmann für die medial vermittelte Ansprache der Menschen und die öffentliche Zuspitzung politischer Debatten, der eher bodenständige Schneider als ruhender Pol für die innerkirchliche Arbeit.

Zurückhaltung bis zur Wahl

Als der gebürtige Duisburger nach dem Rücktritt Käßmanns im Februar kommissarisch den Ratsvorsitz übernahm, verordnete er sich seinem Naturell entsprechend bis zu seiner Wahl Zurückhaltung: Er wolle Käßmanns Arbeit fortsetzen und "mit eigenen Akzenten versehen". Dass sich schon damals der Rat klar für Schneider als neuen Vorsitzenden aussprach und ein Gegenkandidat in der EKD nie in Sicht war, brachte den Rheinländer nicht von seinem Kurs ab. Vor wenigen Tagen kündigte er an, nach der Wahl für die nächsten fünf Jahre "die Handbremse lösen" zu wollen.

In den vergangenen Monaten vernahm man den rheinischen Präses vor allem in der Debatte um den Sozialstaat. Er sehe "mit großer Sorge", dass der Staat "sein ausgleichendes Handeln den Armen gegenüber vermindert", sagte der frühere Diakoniepfarrer am Sonntag in seinem Ratsbericht an die Synode. Das Thema liegt dem Theologen erkennbar am Herzen, der aus einer Duisburger Stahlarbeiterfamilie stammt und von der 1968er-Bewegung geprägt wurde.

Beifall für die Rückschau

Nur kurz noch ging Schneider auf die viermonatige Amtszeit Käßmanns ein, die sich derzeit zu einem Studienaufenthalt in den USA aufhält. Ihr Nachfolger dankte für die "zwar kurze, aber intensive Zeit" des Ratsvorsitzes und nannte dabei explizit die von der hannoverschen Bischöfin angestoßene Debatte über den deutschen Bundeswehreinsatz in Afghanistan. "Wir freuen uns, wenn sie eine wichtige Stimme unserer Kirche bleiben wird", beschloss Schneider die äußerst knapp gehaltene und mit höflichem Beifall bedachte Rückschau.

Während Käßmann ihren Stab beständig in Atem hielt, weil ihre pointierten Meinungsäußerungen mitunter stärker an persönlichem Empfinden als an kirchlichen Beschlusslagen orientiert war, gab Schneider im Ratsbericht schon einmal einen Ausblick darauf, dass er sich eher als Moderator versteht. Als Schneider Mitte Oktober in einem Zeitungsinterview öffentlich Überlegungen angestellt hatte, dass eine Präimplantationsdiagnostik (PID) im Interesse betroffener Eltern in engen Grenzen ethisch vertretbar sein könnte, war das im EKD-Kirchenamt auf Verwunderung gestoßen. Immerhin hatte sich der Rat 1992 und noch einmal 2003 ausdrücklich für ein PID-Verbot ausgesprochen. Irritiert zeigte sich auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz, sah sie sich bislang doch in ihrer PID-Ablehnung einig mit der EKD.

Schwenk in Sachen PID

Am Sonntag nun ruderte Schneider vorsichtig zurück: Im Interesse der Eltern setze er sich "für eine Neuaufnahme der ethischen Diskussion ein". Er könne doch als Vorsitzender nicht freihändig eine Ratsposition verändern, sagte er zur Begründung. Ob und, wenn ja, wie entschieden er selbst für eine begrenzte PID-Freigabe in der nun anstehenden Diskussion eintreten wird, ließ der Präses offen.

epd