Westerwelles kurzes Gastspiel in Gaza
An schlechten Tagen stinkt es im Gazastreifen gewaltig zum Himmel. 60 Millionen Liter Abwasser versickern täglich unbehandelt im Boden oder fließen ins Mittelmeer. Außenminister Westerwelle hat in Gaza ein Klärwerk besucht, das mit deutscher Hilfe ausgebaut wird.
08.11.2010
Von Hans Dahne

Für die Botschaft von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) braucht man den richtigen Riecher. Der deutsche Chefdiplomat steht im Anzug und ohne Schlips mitten im Gestank einer Kläranlage und verkündet mit staatstragender Stimme in Deutsch und Englisch sowie arabischer Übersetzung: "Es ist inakzeptabel, 1,5 Millionen Menschen zu blockieren. Der Besuch ist ein klares Zeichen, dass wir die Menschen in Gaza nicht vergessen und nicht vergessen können. (...) Die Abriegelung stärkt die Radikalen und schwächt die Moderaten, das Gegenteil wäre richtig."

Ein solches Medieninteresse hat es lange Zeit nicht mehr in Gaza gegeben. Westerwelle ist als erstes deutsches Regierungsmitglied seit vier Jahren gekommen. Und er ist seit Jahren der erste Außenminister eines EU-Schwergewichts. In Israel war zuvor alles etwas kleiner ausgefallen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist in Sachen Friedensprozess in den USA unterwegs. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas tourt durch die Golfstaaten. In dieses Funkloch passte für Westerwelle Gaza wohl richtig gut rein.

Nichts rein, nichts raus

Zwar hat Israel Mitte Juni die Abriegelung des Gazastreifens gelockert. Aber die Wirtschaft kommt nicht auf die Beine. Zum Einen lässt Israel nichts herein, was auch militärisch genutzt werden kann, zum Anderen lässt Israel keine Waren heraus. Kein Unternehmer kann mit Exporten Geld verdienen. Geschäftsleute haben Westerwelle deshalb während eines Gesprächs gebeten, Druck auf Israel auszuüben, damit sich das ändert.

Ganze drei Stunden bleibt Westerwelle im Gazastreifen. Seine Sicherheitskräfte hat er mitgebracht. Denn um die herrschende Hamas- Organisation macht der Vizekanzler einen großen Bogen. Zwar hat der Außenminister seine Reise mit den Vereinten Nationen koordiniert, aber sein Wohl und Wehe hängt irgendwie doch auch von den radikalen Islamisten ab. Die Hamas muss beispielsweise bis an die letzte Splittergruppe durchstellen, dass Raketenangriffe auf Israel oder den Minister-Konvoi zu unterbleiben haben. Am Grenzübergang Erez hält ein Hamas-Mitarbeiter auch Westerwelles Passkopie in der Hand.

Es sei "beleidigend", dass internationale Repräsentanten Treffen mit der Hamas-Führung in dem Palästinensergebiet verweigerten, sagt das ranghohe Hamas-Mitglied Kamal Schrafi. Hamas sei rechtmäßig vom palästinensischen Volk gewählt worden. "Wir verdammen die schlechte Behandlung der palästinensischen (Hamas-)Regierung." Etwas versöhnlich fügt er hinzu: "Wir begrüßen den Besuch jedes ausländischen Repräsentanten, vor allem des deutschen Außenministers, im Gazastreifen."

Vorzeigeprojekt Klärwerk

Und so berichtet Westerwelle im Klärwerk, wie Deutschland dabei helfen möchte, die Infrastruktur zu sanieren. Das Klärwerk von Scheich Adschlin südöstlich von Gaza gehört dazu. Hier läuft das Abwasser von rund 630.000 Menschen zusammen. Die Anlage ist aber nur für die Hälfte ausgelegt. Und deshalb versickert Abwasser weitgehend unbehandelt im Boden oder fließt ins Mittelmeer.

20 Millionen Euro steckt Deutschland in das Projekt. Zehn Prozent der Materialien und Ausrüstungen hat Israel bislang über die Grenze gelassen. Aber das Projekt klemmt noch an anderer Stelle. Täglich fallen 2000 Kubikmeter Klärschlamm an und der muss entsorgt werden. Das ausgesuchte Areal liegt nur einen halben Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt. Und schon kommen für Israel Sicherheitsbedenken ins Spiel.

Im Interesse der politischen Ausgewogenheit hat Westerwelle seinen Besuch in Gaza gut verpackt. Am Vortag sprach er mit dem Vater des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit. In Gaza wendet sich Westerwelle an die Entführer: "Lasst den jungen Mann nach Jahren der Gefangenschaft nach Hause reisen!" Nach Gaza besucht Westerwelle auch noch die israelische Grenzstadt Sderot. Wenn dort der Alarm ertönt, haben die 20.000 Einwohner genau 15 Sekunden Zeit, sich vor Raketen militanter Palästinenser in Sicherheit zu bringen.

dpa