Robert Enke: Ein Mensch an seinen Grenzen
Depression: Vor einem Jahr nahm sich Fußball-Nationaltorwart Robert Enke das Leben. Experten bezweifeln, dass die Selbsttötung Enkes in der Gesellschaft ein Umdenken ausgelöst hat.
08.11.2010
epd
Von Charlotte Morgenthal

Fußball-Fan Michael Neblung (31) bekommt den Anruf, als er gerade im Auto sitzt: Robert Enke, Torhüter von Hannover 96 und der Nationalmannschaft, ist tot. "Ich konnte es nicht glauben." Zu Hause angekommen, schaltet er wie viele andere Fans den Fernseher ein und schaut auf Nachrichtenseiten im Internet. "Zunächst war da die Unsicherheit, ob er sich das Leben genommen hat und warum", erinnert sich Neblung.

Depression: Tabuthema im Profisport

Schnell wird klar, dass sich der 32-jährige Enke am Abend des 10. November 2009 selbst tötete. Unweit seines Wohnorts Empede stellte er sich vor einen Zug. Noch am selben Abend kommen Fans fassungslos zum Stadion von Hannover 96 und stellen Kerzen und selbst gemalte Transparente auf. Am nächsten Tag verliest Enkes Frau Teresa tränenerstickt vor Journalisten eine Erklärung, die auch Michael Neblung überrascht: Enke litt schon seit Jahren weitgehend unbemerkt unter Depressionen und befand sich in therapeutischer Behandlung.

Depression, zuvor meist geheim gehalten und verdrängt, wurde plötzlich zum öffentlichen Thema in Deutschland. Doch der Psychiater und Depressions-Experte Andreas Spengler aus der Nähe von Hannover bezweifelt, dass die Selbsttötung Enkes in der Gesellschaft ein Umdenken ausgelöst hat: "Bei Stammtischgesprächen hat Schwäche immer noch keinen Raum, da werden Menschen mit Depression gehandelt wie verderbliche Ware."

Nach Einschätzung des auf Sportler spezialisierten Psychiaters Frank-Gerald Pajonk aus Liebenburg bei Goslar ist die Depression weiter ein Tabuthema im Profisport: "Die Angst, dafür abgestraft zu werden, ist sehr hoch und in vielen Fällen sicher auch berechtigt." Kaum ein deutscher Profifußballer werde heute zugeben, unter Depressionen zu leiden. "Für viele Profi-Sportler bedeutet das öffentliche Bekennen zu einer psychischen Erkrankung immer noch einen Karriereknick."

Robert-Enke-Stiftung

Dabei waren die Verantwortlichen in der Fußball-Szene nicht untätig. Hannover 96 gründete gemeinsam mit dem Deutschen Fußball-Bund im Januar 2010 die Robert-Enke-Stiftung. Sie unterstützt Projekte, Forschungen und Einrichtungen, die über Depressionen aufklären. Vorstandsvorsitzende ist die Witwe des Torwarts, Teresa Enke. "Unter dem Namen Robert Enke wird Nachhaltigkeit geschaffen, aber das wird Jahre dauern", ist DFB-Sprecher Ralf Köttker überzeugt.

Der Verband warnt jedoch davor, die Erwartungen zu hoch zu schrauben: "Wir maßen uns zu viel an, wenn wir denken, wir können mit ein paar Broschüren und Weiterbildungen die Dinge in den Griff bekommen", sagt Köttker. Zwar sei auch eine psychologische Weiterbildung in die Trainerausbildung integriert, doch dies könne den gesellschaftlichen Problemen mit Depressionen nicht vorbeugen. Auch 96-Sprecher Andreas Kuhnt mahnt: "Wenn das breitere Umfeld keine Akzeptanz für Schwächen, hat fällt es einem Verein schwer, diese Person zu schützen."

Trauer um Robert Enke

Fußball-Fan Michael Neblung kommt am Tag nach Enkes Suizid wie Hunderte von Fans in die Marktkirche von Hannover zu einer ökumenischen Andacht, um seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. "Das lief bei mir ab, wie ein Film", erinnert er sich. Die damalige Bischöfin Margot Käßmann versucht, das Geschehen in Worte zu fassen. "Hinter Glück, Erfolg und Beliebtheit können abgrundtiefe Einsamkeit und Verzweiflung liegen, die Menschen an ihre Grenzen führen", sagt sie in ihrer Predigt.

Draußen im Novemberregen harren Hunderte von Menschen, die keinen Platz mehr gefunden haben, vor Lautsprechern aus. Rund 35.000 sind es schließlich, die von der Kirche zum Stadion ziehen, wo mittlerweile ein Meer aus Kerzen, Blumen, Fotos und Trikots mit der Nummer eins entstanden ist.

Fünf Tage später gibt es im 96-Stadion eine große öffentliche Trauerfeier. Wieder sind rund 35.000 Fans gekommen, die meisten in Schwarz. Im Mittelkreis steht der Sarg mit weißen Rosen. Es ist so still, dass man das Mikrofon knacken hört, als DFB-Präsident Theo Zwanziger das Wort ergreift und ungewohnt kritische und deshalb viel beachtete Worte findet.

"Wir dürfen uns anstrengen, ja", mahnt er unter dem Beifall des Publikums. "Aber nicht um jeden Preis." Und an Eltern junger Nachwuchs-Fußballer gewandt sagt der Präsident: "Denkt nicht nur an den Schein, denkt auch an das, was im Menschen ist, an Zweifel und Schwächen."

epd