Trauercafés: Die eigene Schwäche akzeptieren
Ob innere Verzweiflung oder Wutschreie: Das Hadern mit Gott und der Welt ist bei vielen Trauernden ein Thema. In Trauercafés finden Hinterbliebene Unterstützung.
08.11.2010
Von Jan Thomas Otte

Teelichter flackern, einige Kürbisse zieren die Fensterbank. Es ist still in den Räumen der Villa mitten in Konstanz. Jeden Donnerstag um 19.30 Uhr treffen sich hier Hinterbliebene zum Trauercafé. Auch an Feiertagen wie Weihnachten oder Silvester steht die Tür Trauernden offen. Trauercafés wie in Konstanz gibt es in ganz Deutschland, organisiert von Kirchen, Kommunen oder Vereinen.

Zwei Drittel der Trauernden sind Männer

In Konstanz beginnt der Abend mit einer Geschichte von Dietrich Bonhoeffer. Manchmal ergibt sich gleich ein längeres Gespräch: "Aber nur wer will, man muss nicht reden", sagt Elke Hutzenlaub. Sie organisiert im zehnten Jahr mit einigen Ehrenamtlichen vom Konstanzer Hospizverein das "Offene Haus für Trauernde". Zwei Drittel der Trauernden an den Donnerstagabenden sind Männer.

Für Hinterbliebene sei es wichtig, mit anderen Menschen zusammenzukommen, sagt Petra Hinderer, die als Psychologin das Projekt begleitet. "Trauer macht Angst, und wenn sie nicht gelebt wird, macht sie vielleicht sogar krank". Wichtig sei jedoch, dass diese Treffen ohne weitere Verpflichtungen stattfänden, anders als das in Vereinen oder Selbsthilfegruppen häufig der Fall sei. Kaffee und Kuchen gibt es im "Offenen Haus für Trauernde" in Konstanz nicht. Man wolle keine Klischees von Kuschelklub oder Kaffeeklatsch bedienen, heißt es.

"Auch Ratschläge sind irgendwie Schläge"

"Wir wollen keine Abhängigkeiten verstärken, keine Psychotherapie oder Seelsorge ersetzen", sagt Teamleiterin Hutzenlaub. Sie ist fest davon überzeugt, dass der Mensch an sich bereits ganz gut mit der Trauer umgehen kann. Zwar kämen die Hälfte der Besucher nach dem ersten Besuch im Trauercafé wieder, aber "nach einem Jahr verabschieden sich die meisten", sagt sie. Das sei der wichtigste Unterschied in ihrem Konzept zu anderen, verbindlicheren Angeboten.

Nach dem Verlust eines geliebten Menschen sei es für Trauernde nicht einfach, wieder in den Alltag zu finden, weiß Hutzenlaub. "Die eigene Schwäche akzeptieren, wieder einen strukturierten Tagesablauf finden", darum ginge es vor allem. Besonders Arbeitskollegen erwarteten, dass der trauernde Mensch bald wieder "funktioniere". Gut gemeinte Sprüche wie "Du findest eine andere" oder "Zeit heilt alle Wunden" helfen selten, sagt Hutzenlaub und ergänzt lakonisch: "Auch Ratschläge sind irgendwie Schläge".

Die Trauerbegleiterin weiß, wovon sie spricht. Sie war 45 Jahre alt, ihre Karriere als Chemotechnikerin lief gut, die drei Kinder waren fast aus dem Haus. Von einem auf den anderen Tag änderte sich ihr Alltag: Plötzlich starb ihr Ehemann, fiel auf dem Fussballplatz einfach um. Sie habe sich lange Zeit wie eine "Schüssel mit Sprung" gefühlt, sagt Hutzenlaub. So oder ähnlich beschreiben es viele Hinterbliebene. Sie fühlen sich nicht mehr heil.

Hadern mit Gott und der Welt

"Die internationale Trauerforschung der vergangenen 40 Jahre, vor allem die US-amerikanische, ist von uns fast vollständig ignoriert worden", bemängelt Familientherapeutin Hanne Oesterle. Die Theologin hat Trauercafés in Deutschland mit zu einem Trend verholfen. Sie berät Akademien, Kliniken oder Kirchengemeinden, die weitere Trauercafés gründen wollen. Dabei ist ihr aufgefallen: "In Deutschland hängt man noch viel zu sehr an der Lehre von Sigmund Freud. Von wegen, man müsse nur loslassen. Trauer aber bedeutet mehr als das", sagt die 66-Jährige.

Sie berät Hinterbliebene in ihrer Praxis auch professionell. Ob innere Verzweiflung oder Wutschreie: Das Hadern mit Gott und der Welt sei bei vielen Trauernden ein Thema. In vielen Trauercafés begegne Oesterle diese Frage: "Ich war ein guter Mensch. Warum hat mich Gott so geprüft?". Das Konzept eines guten Gottes würde durch den Tod eines nahen Angehörigen auf die Probe gestellt, hat sie oft erfahren.

Urte Bejick arbeitet beim Diakonischen Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden. Die Referentin lobt die neuen "niederschwelligen Angebote für Distanzierte", die keine Selbsthilfegruppe besuchen wollen. In Trauercafés sieht die Seelsorgerin eine sinnvolle "Ergänzung zur bisherigen Trauerbegleitung in Hospizen".

Vor allem Jugendliche aber bräuchten noch etwas anderes als Trauercafés. Für sie seien virtuelle Trauertreffs im Internet wichtig, sagt Bejick: "Sie trauen sich oft nicht, im echten Leben Unterstützung zu suchen".

epd