Widerstandskämpfer Georg Elser: Einer gegen Hitler
Georg Elsers Attentat hätte den Lauf der Geschichte ändern können. Diesen fiktiven Geschichtsverlauf schildert der Schriftsteller Dieter Kühn in seiner Erzählung "Elser jagt Hitler in die Luft".
08.11.2010
Von Jürgen Prause

Eine historische Fiktion: Georg Elsers Attentat auf Hitler gelingt. Der Diktator wird am 8. November 1939 um 21.20 Uhr durch eine starke Explosion im Münchner Bürgerbräukeller getötet, während er eine Rede vor "alten Kämpfern" seiner Partei hält. Mit ihm werden weitere Mitglieder der NS-Führung unter den Trümmern begraben, darunter Propagandaminister Joseph Goebbels und der Reichsführer SS, Heinrich Himmler. Diesen fiktiven Geschichtsverlauf schildert der Schriftsteller Dieter Kühn in seiner Erzählung "Elser jagt Hitler in die Luft".

Georg Elsers Attentat auf Hitler misslingt

In Wirklichkeit kam es anders. Als die Bombe detonierte, die der Attentäter heimlich in eine Säule hinter dem Rednerpult eingebaut hatte, hatte Hitler den Saal bereits vorzeitig verlassen, um den Zug nach Berlin zu erreichen - nur 13 Minuten vor der durch einen Zeitzünder ausgelösten Explosion. Hitler entging dem Tod, aber acht Menschen kamen ums Leben, mehr als 60 wurden verletzt.

Elser versucht noch vor der Explosion, über die Grenze in die Schweiz zu fliehen, wird jedoch von Zollbeamten in Konstanz festgenommen. In seinen Taschen findet man verdächtige Gegenstände und eine Ansichtskarte des Bürgerbräukellers. Elser wird von der Gestapo verhört und gefoltert und gesteht schließlich die Tat, die er allein geplant und ausgeführt hat. Nach mehr als fünf Jahren KZ-Haft wird er am 9. April 1945 auf Weisung "von höchster Stelle" im Konzentrationslager Dachau erschossen.

Elser, geboren am 4. Januar 1903 im württembergischen Hermaringen, war ein einfacher schwäbischer Schreiner, der sich kaum mit Politik befasste. Die Nationalsozialisten aber hasste er, machte sie für die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter verantwortlich. Den Entschluss, Hitler zu töten, fasste Elser bereits im Herbst 1938. Mit seiner Tat wollte er den Krieg verhindern, der nach seiner Überzeugung unter Hitler unvermeidlich war.

"Mäßigung in der politischen Zielsetzung"

In den 60er Jahren entdeckte der Münchner Historiker Lothar Gruchmann die umfassenden Gestapo-Protokolle der Verhöre Elsers im Bundesarchiv. Sie geben Aufschluss über dessen Motivation. Elser war überzeugt, "dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten". Er erwartete, dass damit eine "Mäßigung in der politischen Zielsetzung" des NS-Regimes eintreten werde.

Der begabte Handwerker und Tüftler bereitete seine Tat akribisch vor. In den Wochen vor der Kundgebung in München ließ er sich abends im Bürgerbräukeller einschließen. In mehr als 30 Nächten höhlte er eine Säule aus und deponierte dort einen Sprengsatz mit Zeitzünder. Zusammen mit Hitler wollte Elser auch dessen Gefolgsleute Joseph Goebbels und Hermann Göring töten. Göring nahm aber nicht an der Versammlung teil. Auch Himmler war - anders als in Kühns literarischer Darstellung - nicht anwesend.

Späte Würdigung eines Widerstandskämpfers

In Kühns Erzählung wird Göring nach Hitlers Tod Reichskanzler. Er will keine Ausweitung des Anfang September begonnenen Polenfeldzuges zum Weltkrieg und nimmt Friedensverhandlungen mit England und Frankreich auf. Die antisemitischen Nürnberger Rassengesetze bleiben in Kraft, aber der Holocaust findet nicht statt. Göring regiert prunkvoll wie ein Renaissancefürst und widmet sich dem Ausbau seiner Kunstsammlung.

Elsers Attentat hätte bei einem anderen Ausgang den Lauf der Geschichte ändern können. "Ein Gelingen seiner Tat hätte sowohl die Ausweitung des im Herbst begonnenen Krieges als auch den Massenmord an den Juden verhindern können", urteilen die Historiker Peter Steinbach und Johannes Tuchel. Ein früher Tod Hitlers hätte weit mehr bewirken können als ein Gelingen des Anschlags von Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944.

Dennoch blieb dem Einzeltäter Elser nach dem Krieg die Anerkennung als Widerstandskämpfer versagt, er geriet für viele Jahre in Vergessenheit. Elser sei lange "ein verkannter Held" geblieben, sagt Manfred Maier vom Georg-Elser-Arbeitskreis in Heidenheim. Noch vor 20 Jahren hätten nur wenige den Namen Georg Elser gekannt. Erst spät wurde seine mutige Tat in der Bundesrepublik gewürdigt.

"Ich hab den Krieg verhindern wollen"

In mehreren Städten setzen sich Georg-Elser-Initiativen für einen angemessenen Platz des NS-Gegners in der deutschen Gedenkkultur ein. Die Bekanntheit Elsers wächst. Bundesweit wurden rund 40 Straßen und Plätze sowie mehrere Schulen nach ihm benannt. Sein Leben wurde verfilmt, 2003 erschien eine Sonderbriefmarke mit seiner Fotografie und dem Zitat "Ich hab den Krieg verhindern wollen".

Im schwäbischen Königsbronn bei Heidenheim, wo Elser aufwuchs und später eine kleine Werkstatt hatte, wurde 1998 eine Gedenkstätte eingerichtet. Inzwischen erinnern auch Denkmäler in Berlin, München, Freiburg, Konstanz und Heidenheim an den Widerstandskämpfer. Zuletzt wurde im April 2010 zum 65. Todestag Elsers eine mehr als zwei Meter hohe Statue am Bahnhof Königsbronn aufgestellt.

Seit 2001 wird alle zwei Jahre der Georg-Elser-Preis für Zivilcourage von den Georg-Elser-Gruppen und -Initiativen verliehen. Den Bürgerbräukeller in München gibt es nicht mehr. Am historischen Ort neben dem Kulturzentrum Gasteig erinnert eine in den Boden eingelassene Gedenkplatte an Elsers Tat.

Literatur: Dieter Kühn, Ich war Hitlers Schutzengel, Frankfurt a.M. 2010.

epd