"Ich bin bereit, ich kandidiere für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin", sagte die Grünen- Fraktionschefin im Bundestag unter dem Jubel von 900 Parteifreunden und Gästen am Freitagabend in Berlin. Dem Land steht ein beispielloser Wahlkampf bevor. Seit Monaten war erwartet worden, dass die 54-Jährige Wowereit bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 herausfordert. "Die Zeit ist jetzt reif für einen Politikwechsel", sagte Künast.
In Umfragen liegen die Berliner Grünen mit bis zu 30 Prozent deutlich vor der SPD. Die Berliner SPD will aber kein Juniorpartner der Grünen werden. Sie selbst habe ihr Herz an Berlin verloren - auch die Geschichte ihres persönlichen Aufbruchs vor mehr als 30 Jahren habe hier begonnen. "Jetzt - glaub' ich - ist es Zeit, wieder aufzubrechen."
"Das Gegenteil von sexy"
Künast zeichnete ein düsteres Bild von der Politik Wowereits. Die Stadt sei blockiert. "Armut und keinen Arbeitsplatz zu haben, ist für die Betroffenen das Gegenteil von sexy", sagte sie unter Anspielung auf Wowereits Berlin-Motto "Arm, aber sexy". "Heute ist wieder Zeit für einen Aufbruch, weil Berlin mehr verdient hat als lustloses Regieren", rief Künast den Zuhörern zu. "Berlin ist eine Verheißung, aber seine Regierung ist eine Zumutung."
Hohe Arbeitslosigkeit und der Ausschluss ganzer Bevölkerungsteile vom öffentlichen Leben prägten das Bild. "Berlin muss jetzt endlich eine Stadt für alle werden", forderte sie. Zum grünen Leitbild "einer Stadt für alle" gehöre Gerechtigkeit und Freiheit gleichermaßen. "Kein Kind bleibt auf der Strecke", versprach Künast. Jedes Kind solle bis Ende der kommenden Legislaturperiode mit altersgerechten Deutschkenntnissen in die Schule kommen. Bereits bis 2013 solle der Rechtsanspruch auf Krippenplätze umgesetzt werden. "Berliner Schulen sollen ein Ort des Lernens sein und nicht ein Ort des Frustes."
In der Integrationspolitik forderte sie "Mehr Ratio und weniger Ressentiments". Bildung und Ausbildung müssten gestärkt werden. "Statt über den Islam zu räsonieren, sollten wir jetzt die Themen in den Mittelpunkt stellen, die wirklich über den Erfolg oder Misserfolg von Integration bestimmen." Migranten und Deutschstämmige müssten gegenseitigen Respekt haben. "Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dürfen in Berlin keinen Platz haben."
Vorreiterstadt für moderne Industrie
Künast sagte: "Ich träume davon, dass in diesem Land jede und jeder sagen kann: Ich bin ein Berliner, hier bin ich gewollt, habe Chancen, kann mitgestalten - das ist das Ziel." Sie wolle die Stadt zum Vorreiter für eine moderne, grüne Industrie machen."Wir wollen 100.000 neue Jobs in Berlin schaffen - das kann gehen." Der rot-rote Senat stehe dagegen für Stillstand, Betonpolitik und einen desaströsen Bildungskurs. "Hier werden zehntausende Jugendliche um ihre Zukunft betrogen."
"Berlin braucht einen neuen Politikstil, der geprägt ist von wechselseitigem Respekt", sagte sie. Bürger sollten stets einbezogen werden. "Wir wollen Demokratie anders und besser wagen in Berlin." Wahlgeschenke habe sie aber nicht zu verteilen, Schulden müssten abgebaut werden. "Was ist denn Demokratie für junge Menschen wert, wenn vor lauter Schulden gar nichts mehr zu entscheiden ist?" Die auf die Grünen gerichteten Hoffnungen brächten einen "enormen Zuwachs an Verantwortung".
Wowereit rief Künast unterdessen dazu auf, sich "ohne Wenn und Aber und ohne Rückfahrschein" zur Berliner Landespolitik zu bekennen. "Wenn sie kommt, soll sie richtig kommen", sagte der SPD-Politiker. Erwartet wird, dass Künast Fraktionschefin im Bundestag bleiben will, wenn sie nicht zur Regierenden Bürgermeisterin gewählt werden sollte. Dazu äußerte sie sich bei der Parteiveranstaltung nicht.
Grün-schwarze Koalition?
In den ARD-"Tagesthemen" warf sie Wowereit vor, diese Debatte nur zu führen, "weil ihm kein einziger Inhalt für Berlin einfällt". Künast warf ihrerseits Wowereit vor: "Wir alle wissen, dass er selber nur gewinnen möchte, um danach in die Bundespolitik zu gehen." Die Grünen-Politikerin betonte, es handele sich um die falsche Debatte: "Ich setze auf Sieg."
Allerdings forderte auch der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, von Künast eine klare Entscheidung. "Berlin muss man richtig und nicht nur halb wollen", sagte er dem "Tagesspiegel". Berlins Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann wies die Forderungen zurück: Wowereit und SPD-Landeschef Michael Müller werde es politisch nicht mehr geben, wenn die Sozialdemokraten bei der Wahl hinter den Grünen einlaufen, sagte er der "Leipziger Volkszeitung". Der Berliner CDU-Chef Frank Henkel schloss im rbb nicht aus, dass sich seine Partei nach der Abgeordnetenhauswahl um eine Koalition mit den Grünen bemüht.