Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil eine neue Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) angestoßen. Ist eine gesetzliche Regelung für diese Gentests an künstlich erzeugten Embryonen geboten?
Eckhard Nagel: Die Anwendung der PID ist in Deutschland nicht hinreichend geregelt. Das Urteil des Bundesgerichtshofes zeigt, dass wir eine gesetzliche Regelung für dieses Verfahren brauchen. Ich bin der Meinung, dass wir eine auf wenige Erbkrankheiten begrenzte Zulassung für PID ermöglichen sollten, das heißt es sollte möglich sein, Embryonen auf mit dem Leben nicht vereinbare Krankheiten zu untersuchen, aber es sollte zum Beispiel keine Untersuchung geben, die auf die Feststellung des Geschlechts des Kindes zielt.
Über eine Zulassung von PID gehen die Positionen quer durch die politischen Lager auseinander. Im Nationalen Ethikrat, dessen Nachfolger Sie angehören, hatte bereits 2003 eine Mehrheit die Embryonenuntersuchung bei Paaren mit hohen Risiken für schwere Erbkrankheiten für ethisch vertretbar gehalten. Was spricht für eine begrenzte Freigabe? Und wo genau müssten bei einer vorsichtigen Neuregelung Grenzen gezogen werden?
Nagel: PID wird immer ein ethisches Dilemma bleiben. Auch ich wäge in meiner Position sorgfältig zwischen den Argumenten ab: Auf der einen Seite halte ich PID dann für sehr problematisch, wenn das Verfahren dazu eingesetzt wird, um eine Auswahl zwischen Embryonen zu treffen. Auf der anderen Seite kann PID unter bestimmten Umständen als eine Hilfe empfunden werden. Daher sollten wir Grenzen ziehen und die Anwendung der PID auf einige Einzelfälle beschränken. Zum Beispiel auf Erbkrankheiten, die monogen oder chromosomal vererbt werden und zum Tode des Kindes führen.
Was sagen Sie PID-Befürwortern, die argumentieren, dass damit eine belastende Schwangerschaft mit einem möglichen Abbruch verhindert werde?
Nagel: In gewisser Hinsicht habe ich Verständnis für diese Art der Argumentation. Eltern, die wissen, dass sie schwere Erbkrankheiten in der Familie haben, könnten aufgrund dieser Disposition in eine Lage kommen, in der sie es für richtig halten, eine PID durchführen zu lassen. Denn mit Hilfe der PID lässt sich feststellen, ob ein Kind Träger eines Gens ist, das für Erbkrankheiten verantwortlich ist, die mit dem Leben nicht vereinbar sind. PID kann dabei helfen, solche Krankheiten auszuschließen, die bei einem im Mutterleib erzeugten Embryo zu einem Schwangerschaftsabbruch führen könnten.
In beiden großen Kirchen wird vor einer Aufweichung des Embryonenschutzes im Falle einer Zulassung von PID gewarnt. Teilen Sie die Sorge von Kirchenvertretern, dass dies zu einem Dammbruch in Richtung Selektion führen könnte?
Nagel: Ich halte eine völlige Freigabe der PID für ausgeschlossen, denn diese könnte tatsächlich irgendwann dazu führen, dass das Verfahren für Selektionszwecke missbraucht wird. In dieser Hinsicht teile ich die Sorge vieler Kirchenvertreter. Anderseits halte ich ein generelles strafrechtliches Verbot der PID für problematisch. Das Strafgesetzbuch ist kein geeignetes Mittel, um die Fragen des Lebens zu regeln. Wir brauchen eine vorsichtige Neuregelung, eine Regelung, die Rücksicht nimmt auf die wenigen Einzelfälle, in denen es hilfreich sein kann, eine PID durchzuführen. Die Ehrfurcht vor dem Leben als ethisches Leitmotiv gebietet es uns, auch diese speziellen Situationen und Lebensgeschichten ins Auge zu fassen.