Bei Ausländerfeindlichkeit Ost/West unwichtig
Im Westen leben die Ausländer, im Osten die Ausländerfeinde - so lautet ein verbreitetes Klischee. Eine ungewöhnlich aufwendige Jugendstudie von Hannoveraner Soziologen zeigt, dass es nicht stimmt. Die Realität ist sehr viel komplizierter.
05.11.2010
Von Bernhard Sprengel

Bei der Verbreitung von Ausländerfeindlichkeit unter jungen Deutschen lassen sich nach Einschätzung von Sozialwissenschaftlern keine grundsätzlichen Ost-West-Unterschiede mehr feststellen. "Dieses Ost-West-Ding funktioniert nicht mehr, wenn wir über Ausländerfeindlichkeit reden", sagte Dirk Baier vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen am Donnerstag in Schwerin. Eine Befragung unter 45.000 Jugendlichen habe gezeigt, dass es Gebiete in Ostdeutschland gebe, in denen junge Menschen überhaupt nicht ausländerfeindlich eingestellt seien, und andere Regionen wie etwa in Süddeutschland, in denen diese Haltung sehr verbreitet sei.

Bedeutung der Bildungsintegration

Die Befragung aus dem Jahr 2007/8 zeige darüber hinaus, dass die Verbreitung rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Einstellungen nicht mit den "klassischen Indikatoren" wie Arbeitslosigkeit und Einkommen in einer Region zusammenhänge. "Es hat nichts mit dem ökonomischen Status des Gebietes zu tun", sagte Baier. Die Ursachen für die regionalen Unterschiede wollen die Forscher nun durch eine neue Studie herausfinden.

Sehr starke regionale Unterschiede zeigt die Schülerbefragung nach Angaben Baiers indes bei der Integration von Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln. So sei der Anteil türkischer Jugendlicher, die das Abitur anstrebten, in München innerhalb von zehn Jahren von 18 auf 12 Prozent gesunken. In Hannover habe sich die Quote im selben Zeitraum (1998-2008) auf das Doppelte erhöht. Gleichzeitig habe sich in der bayerischen Landeshauptstadt der Anteil der Mehrfachgewalttäter unter Migrantenjugendlichen und besonders den Türken von 6 auf 12 Prozent verdoppelt.

In Hannover habe dagegen die bessere Bildungsintegration dazu geführt, dass sich der Anteil der Mehrfachgewalttäter mit Migrationshintergrund halbiert habe, sagte Baier. Migranten, die in der Schule integriert seien, würden seltener kriminell. Der Soziologe plädierte für die Abschaffung der Hauptschule. Schulformübergreifende Ganztagsschulen böten die besten Integrationschancen.

Sozialisation und Religion

Die Schülerbefragung belegt nach Darstellung Baiers auch eine Rangfolge bei der Integration der unterschiedlichen Nationalitäten. Westeuropäer mit Ausnahme der Italiener, Osteuropäer und Asiaten fassen demnach in Deutschland sehr schnell Fuß, Türken und Araber dagegen nur sehr langsam. Dabei spiele auch die Haltung der Deutschen eine Rolle, die Türken und Araber stärker ablehnten als West- oder Nordeuropäer.

Entscheidend für die Integration sind nach Baiers Worten aber die Einstellung des Elternhauses, die sozialen Kontakte vom Kindergarten an sowie der Islam. Im Unterschied zu anderen Religionen gelte für junge Muslime: "Je religiöser diese Jugendlichen sind, umso stärker schotten sie sich von der deutschen Gesellschaft ab."

dpa