Das war ein bisschen viel Aufmerksamkeit auf einmal: Kaum hatte die Kölner Organisation LobbyControl ihre neue Seite Lobbypedia am 28.Oktober ins Netz gestellt, da ging das Portal schon für mehrere Stunden in die Knie. Mehrere Leitmedien hatten online über das Projekt berichtet, und offensichtlich bewegte das Thema Lobbyismus zu viele Interessierte zum Weitersurfen auf die Seite.
Das Interesse sei überwältigend, sagt Elmar Wigand und klingt etwas genervt über die vielen Anrufe von Journalisten: Wigand ist seit Anfang 2010 als Referent bei LobbyControl und betreut Lobbypedia als Projektleiter. Das Online-Lexikon, das auf der Software mediawiki basiert, will Hintergrundinformationen bündeln und Zusammenhänge für eine breitere Öffentlichkeit darstellen: Welchen Einfluss etwa die Bau- und Immobilienlobby auf die Entscheidungen rund um Stuttgart 21 hatte und ob es Interessenskonflikte bei den führenden Politikern gab, lautet eine hochaktuelle Fragestellung.
Akteure der Branche
Das derzeit umstrittenste Bauprojekt Deutschlands ist aber nur der Aufhänger für die Rubrik Bau und Immobilienlobby. Sie soll generell Informationen über die großen Akteure der Branche sammeln. Dabei soll es sowohl um Lobby-Aspekte bei einzelnen Bauprojekten gehen als auch um die Einflussnahme zu gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Zwei weitere Schwerpunkt-Themen hat LobbyControl für den Start der Seiten gewählt: die Finanzbranche mit ihrem Einfluss auf die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Gestaltung der Rettungsmaßnahmen während der Bankenkrise. Und die "Seitenwechsler" unter den Politikerinnen und Politikern, also solche, die geschmeidig aus dem Parlament in die Lobbyabteilungen von Unternehmen oder Verbänden wechseln – oder umgekehrt. Dieser "Drehtür-Effekt" sorgt für besonders enge Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft, weil die ehemaligen Abgeordneten oder Minister sehr genau wissen, wie der Politikbetrieb funktioniert und wo sie zum Beispiel als Verbandsfunktionäre den Heben ansetzen müssen.
Finanzlobby und Seitenwechsel
Genau wie Stuttgart 21 sind die Themen Finanzlobby und Seitenwechsel Aufreger für große Teile der Bevölkerung. Die vergangenen Monate haben – nicht nur wegen der Finanzkrise und der Bankenrettung – bei vielen Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl ausgelöst, dass "die da oben" sowieso nur nach ihren machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen handeln.
In der Vergangenheit interessierten sich weniger Menschen für die Verquickung zwischen Wirtschaft und Politik. Nur vereinzelt fand es eine größere Aufmerksamkeit in den Medien, wenn etwa Politikmagazine wie Monitor aufdeckten, dass Lobbyisten in Ministerien mitarbeiteten und an Gesetzesentwürfen mitschrieben. Aber die Welle der öffentlichen Empörung ebbt üblicherweise auch schnell wieder ab.
Finanzierung durch Förderer und Spenden
Das will der gemeinnützige Verein LobbyControl ändern – nicht erst mit dem Projekt Lobbypedia. Seit Anfang 2006 trommelt er für genaueres Hinschauen auf Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU. Das Ziel: den Einfluss von Unternehmen, Verbänden und PR-Agenturen auf Politik, Medien und Öffentlichkeit transparent machen. Die Anschubfinanzierung kam von der Bewegungsstiftung. Mittlerweile stammt nach eigener Aussage ein Großteil der Finanzierung von Förderern und Spendern.
Zu den Projekten des Vereins gehört eine Kmpagen gegen die Mitarbeit von Lobbyisten in den Ministerien und ein Stadtführer für Berlin, der anhand von 55 Stationen den Lobbydschungel der Bundeshauptstadt vorstellt. Mitte Oktober startete LobbyControl zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen zum sechsten Mal die Wahl der "Worst EU Lobby Awards": Zu Wahl stehen je drei Firmen aus den Bereichen Klima und Finanzpolitik wegen ihrer irreführenden, manipiulativen oder andersweitig problematischen Lobbypraktiken in Brüssel.
Alternative zu Wikipedia
Auch mit diesem "Anti-Preis" hat LobbyControl schon Schlagzeilen gemacht. Aber die Resonanz auf das neue Projekt hat die Macher selbst verblüfft, die sich auf dem Portal für die technischen Anfangsprobleme entschuldigen.
Vorbilder für Lobbypedia sind Seiten wie Powerbase (Großbritannien) und Sourcewatch (USA). Mit rund 300 Beiträge ist Portal aber vergeichsweise schwach bestückt. Der eigene Auftritt, unabhängig vom Online-Lexikon Wikipedia, soll verhindern, dass das Spezialwissen in der Menge allgemeiner Informationen untergeht. Lobbypedia versteht sich nicht als Alternative zu Wikipedia, sondern als Ergänzung.
Der Alleingang stellt aber durchaus auch ein Risiko dar: Um dem eigenen Anspruch auf Dauer gerecht zu werden, müssen regelmäßig neue Bei¬träge eingestellt und weitere Themenfelder besetzt werden – auch wenn der Hype um Stuttgart 21 beendet ist. Schwierig ist das, weil die Mitarbeit eher restriktiv gehandhabt wird: Kommentieren und Verbesserungshin¬weise geben darf jeder, mitschreiben bisher nur ein kleines Team von Autoren, Rechercheuren und Experten, "langsam und sorgfältig" erweitert werden soll.
PR-Abteilungen
Das soll verhindern, dass die Lobby- oder Konzernkritik immer wieder in Frage gestellt oder wirtschaftsfreundlicher "überarbeitet" wird. Bei Wikipedia, so schreibt das Lobbyportal, würden Beiträge über Unternehmen oder Lobbygruppen "offensichtlich stark von PR-Abteilungen mitgeschrieben".
Corinna Blümel ist freie Journalistin und lebt in Köln.