An Allerheiligen und Allerseelen wird in ganz Haiti gefeiert und nicht getrauert. Jugendgruppen ziehen zu Tausenden tanzend, singend und schwitzend durch die Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince. Wenn es dunkel wird, versammeln sie sich in Häusern, Hütten und in Voodoo-Tempeln. Dieses Jahr ist die erste Totenfeier nach dem schlimmen Erdbeben im Januar. Doch zum Massengrab der Erdbebenopfer vor den Toren der Hauptstadt geht keiner und feiert. Dort, wo Zehntausende verschüttet liegen, regiert die Tristesse.
Vodoo-Kult zu den Rhythmen der Trommler
Anderswo beginnt die Zeremonie mit Trommeln und Gesängen, der Papa Gede taucht auf. Er stellt den Tod und die Fruchtbarkeit dar. Auf dem Kopf trägt er einen schwarzen Zylinder. Sein Gesicht ist weiß getüncht. Nach vorne gebeugt stützt er sich auf einen Stab und vollführt kreisende Bewegungen zu den Rhythmen der Trommler. Die Gemeinde aus 50 Teilnehmern beginnt zu singen und zu tanzen.
Eine dicke Priesterin in weißem Kleid hat sich ein blaues Tuch um den Kopf gebunden. Sie umtanzt ein schwarzes kleines Schwein, das in den Mitte an einen Pfahl gebunden ist und verzweifelt an dem Strick zerrt. Ein Mann taucht auf, nähert sich tanzend mit einer Mehlschüssel in der Hand. Angefeuert von den anderen malt er dem quiekenden Tier Voodoo-Zeichen auf den Rücken. Später soll es geopfert werden.
70.000 Leichen: Amerikas größtes Erdbeben-Massengrab
Bei der Feier ist nichts zu spüren von den Erinnerungen an das Erdbeben, bei dem zu Beginn des Jahres mehr als 220.000 Menschen starben. Anfang der Woche waren die Haitianer wie jedes Jahr auf die Friedhöfe gegangen, zu ihren Toten, um den Traditionen entsprechend auf den Gräbern zu tanzen. Doch niemand kam auf die Idee, zu dem wohl größten Massengrab Amerikas vor den Toren von Port-au-Prince zu gehen. Nördlich der Hauptstadt waren in den ersten Wochen nach dem Beben Zehntausende Leichen verschüttet worden.
Das zum Gebirge ansteigende Gelände ist nicht wiederzuerkennen. Es ist zugewachsen mit Gras und Pflanzen. Nur zwei Kreuze auf einer Anhöhe erinnern daran, dass hier über 70.000 Leichen unter der steinigen Erde liegen. An vielen Stellen wird das Gelände bereits als Müllplatz genutzt. Das Zentralkrankenhaus der Stadt, das in der Nähe namenlose Tote bestattet, verbrennt hier medizinische Abfälle, Medikamente, Reste von Atemgeräten, Spritzen.
Die Behörden hatten bereits einer Baufirma aus der benachbarten Dominikanischen Republik die Lizenz verkauft, hier Sand und Kies abzubauen. "Eines Tages fanden sie auch menschliche Gebeine in dem Material", berichtet Nounou Ezelis, der mit zwei anderen hier Steine zerkleinert, um sie zu verkaufen. Die verwesenden Leichen waren von oben in die Schaufeln der Bagger gerutscht. Die Dominikaner, die nichts von dem Massengrab wussten, stellten sofort alle Arbeiten ein.
Zahl der Cholera-Toten in Haiti steigt weiter
Die Zahl der Cholera-Toten in Haiti ist seit Ende der vergangenen Woche um 105 auf 440 gestiegen. Das berichtete der Sender Radio Metropole am Mittwoch unter Berufung auf das Gesundheitsministerium in Port-au-Prince. Auch die Zahl der Erkrankten sei mittlerweile auf über 6.000 angestiegen, hieß es weiter. Die Hilfsorganisationen und die in Haiti stationierte UN-Mission Minustah setzten unterdessen ihren Kampf gegen eine Ausweitung der Epidemie fort.
Die Vereinten Nationen wiesen den Verdacht zurück, ihre UN-Soldaten aus Nepal hätten die Cholera nach Haiti eingeschleppt. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Epidemie in Zentralhaiti seien am Camp der Nepalesen im Department Artibonite Untersuchungen angestellt worden, erklärte die UN-Mission Minustah in Port-au-Prince. Diese hätten nachgewiesen, dass es dort keine Choleraerreger gegeben habe.
Die Cholera war am 20. Oktober dieses Jahres in den zentralen Departments Artibonite ausgebrochen. Es ist in Haiti üblich, dass sich die Menschen in den Flüssen waschen und deren Wasser ungereinigt trinken.