Evangelische Kirche fordert solidarische Gesundheitspolitik
Wenige Tage vor der Bundestagsentscheidung über die Gesundheitsreform warnt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor einer weiteren Aushöhlung der Solidarität in der Krankenversicherung.

Die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber und -nehmer werde mittelfristig weiter zurückgenommen, und die geplanten Zusatzbeiträge belasteten vor allem Geringverdiener, kritisierte die EKD in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme zu dem Reformvorhaben. Darin mahnt die EKD, Kostendämpfung allein genüge nicht. Der Bundestag will am 12. November abschließend über zwei Gesetze beraten, die auf eine Begrenzung der Arzneimittelpreise und der Kosten der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung abzielen.

"Die derzeitige Reforminitiative sieht zwar auf der Ausgabenseite erste Schritte in Richtung auf eine stärkere Regulierung des hochpreisigen deutschen Pharmamarktes vor; ob die erhofften Einsparungen greifen ist aber umstritten", schreibt der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider im Vorwort. Er warnt vor weiterem Personalabbau und vor Fachkräftemangel im Gesundheitssektor als Folgen. Vorbereitet wurde der EKD-Text von einer ad-hoc-Kommission unter Vorsitz des evangelischen Sozialethikers Peter Dabrock (Erlangen-Nürnberg).

Option für die Schwachen

"Die geplante Gesundheitsreform belastet überproportional Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen oder geringem Einkommen", sagte der Erlanger Theologieprofessor. Eine solche Lastenverteilung sei schwer vereinbar mit dem christlichen Grundsatz der Option für die Schwachen und Benachteiligten. Bei der Gesundheitspolitik geht es aus EKD-Sicht um mehr als Kostenmanagement und Versicherungstechnik: "Versicherte brauchen Vertrauen in eine gute Gesundheitsversorgung, Leistungserbringer Planungssicherheit und Gestaltungsmöglichkeiten und Kostenträger eine auskömmliche Finanzierung, die allerdings die Gesamtgesellschaft nicht überlasten darf", beschreibt Präses Schneider die Anforderungen.

Kritik übt die evangelische Kirche an der geplanten Ergänzung der Beitragsfinanzierung durch in der Höhe offene, vom Einkommen unabhängige Zusatzbeiträge. Parallel werde mittelfristig aus Arbeitgeber und -nehmerbeiträgen finanzierte Krankenversicherung weiter zurückgenommen. Auch die geplante Erleichterung des Wechsels zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung sowie die kurzfristigen Kostendämpfungsmaßnahmen, die zu weiteren Personaleinsparungen führten, werden von der EKD kritisch bewertet. Trotz der vorgesehenen zaghaften Reformschritte sei die Gesundheitsreform eine "stille Revolution" für das Gesundheitswesen, heißt es in der Orientierungshilfe unter dem Titel "Das Prinzip der Solidarität steht auf dem Spiel".

"Zwei-Klassen-Medizin"

Als äußert problematisch wertet die EKD das Vorhaben, den vorgesehenen Sozialausgleich aus der Liquiditärsreserve des Gesundheitsfonds zu finanzieren. Zudem verweist sie auf das Problem des Beitragsrückstandes. Eigenverantwortung dürfte nicht auf höhere finanzielle Lasten für den Einzelnen reduziert werde. Eine unausgewogene Lastenverteilung, die Bezieher niedriger Einkommen besonders belaste, verstärkten diesen Eindruck. Die Ausgliederung einzelner Gesundheitsleistungen aus dem solidarisch finanzierten Bereich könnte zu einer "Zwei-Klassen-Medizin" und schrittweisen Entsolidarisierung führen, wird gewarnt.

Unter anderem wird in dem Text eine einheitliches Versicherungssystem befürwortet. "Ziel sollte ein Versicherungssystem sein, in dem der Einzelne seine Versicherung wählen kann, die ihm im Wettbewerb mit anderen als Grundleistung die Krankenversicherung zu Beitragskonditionen anbietet, die an seine ökonomische Situation angepasst sind", empfiehlt die EKD. Das vorliegende Reformvorhaben stütze hingegen die private Versicherung mehr als die gesetzliche. Durch den erleichterten Wechsel zur privaten Krankenversicherung entstünden zusätzliche Lasten in Höhe von mindestens 200 Millionen Euro. Zudem wechselten zumeist "junge, gesunde Alleinstehende und kinderlose Doppelverdiener", wird in dem EKD-Text argumentiert.

epd