Ein arabischer Junge, der in den Kindergarten kommt und noch nicht mal seine Schuhe allein anziehen kann. Typisch Pascha-Mentalität. Arabische Jungs werden ja auch von oben bis unten verhätschelt. So rattert die Assoziationskette vermutlich in nicht wenigen Köpfen. Unter anderem über solche Vorurteile ärgert sich Zamira Benjelloun immer wieder.
Viele Lehrer und Erzieher würden die Mütter und Kinder dann einfach abstempeln, anstatt ihnen dabei zu helfen, dem Kind das Schuhe anziehen beizubringen, sagt Zamira Benjelloun. Statt abzustempeln, redet sie lieber: "Und die Mutter sagte mir dann, dass sie sich einfach nicht von ihrem Kleinen trennen kann." Das sich die Kleinen abnabeln müssen und die Eltern nicht immer loslassen können, ist wohl nicht unbedingt nur ein muslimisches Problem.
Von den Schwierigkeiten, miteinander zu sprechen
Zamira Benjelloun ist Muslimin, in vierter Generation lebt ihre Familie marrokanischer Herkunft in Deutschland. Sie ist Steuerfachgehilfin, ihr Mann Ingenieur. Ihre Familie ist das, was man voll integriert nennt. Ihre Zwei Kinder brachte sie zum Turnen und zum Basteln, sie sollten schon früh mit anderen Kindern spielen. "Und meistens war ich die einzige Muslimin", sagt sie.
Zamira Benjelloun trägt ein Kopftuch, eine beige Bluse und beobachtet ihre Umgebung mit wachen, kritischen Augen. Seit sie einmal zum Weihnachtssterne basteln gegangen sei, ahne sie auch, warum sich manche Migranten nicht zu den Förderangeboten trauten: "Da wurde ich gefragt, warum ich überhaupt für Weihnachten bastele. Das hat mich schon verletzt. Warum denn nicht?"
Berührungsängste, Vorurteile, Schwierigkeiten miteinander zu sprechen: Das seien drei Gründe, die oft zwischen Deutschen und Migranten stünden. Zamira Benjelloun beschloss, ein Eltern-Café zu gründen. Dort sollten sich die ausländischen Mütter treffen können, sich über Probleme austauschen und gegenseitig helfen. Außerdem wollte sie eine Krippe und eine Kita gründen, um die Kinder möglichst früh zu fördern.
"Sie hatte keine Ausbildung zur Erzieherin, keine Räume, kein Geld", sagt Gabriele Mankau. "Und doch machte sie sich einfach auf den Weg." Gabriele Mankau leitete 18 Jahre lang das Kinderbüro in Frankfurt. Sie kennt viele Projekte für frühkindliche Bildung, sie kennt viele Menschen, die solche Angebote organisieren.
Offener Dialog auf Augenhöhe
Von Zamira Benjelloun, von ihrem Enthusiasmus und ihrer Tatkraft war sie sofort fasziniert. Gabriele Mankau beschloss, Zamira Benjelloun bei ihrem Vorhaben zu unterstützen. Inzwischen hat Zamira Benjelloun mit viel Hilfe und ihrer eigenen Ausdauer und Hartnäckigkeit eine Kita eröffnet - und das Eltern-Kind-Zentrum "Al Karama" in Frankfurt. Finanziell wird "Al Kamara" vom Quartiersmanagement des Stadtteils unterstützt, außerdem von der BHF-Bank-Stiftung.
Gabriele Mankau soll für die Stiftung den Erfolg des "Al Karama" bewerten - auch ein Teil der "Überprüfbarkeit" von Integration. In ihrem Abschlussbericht schreibt sie: "Der offene Dialog auf Augenhöhe, die Partizipation der Eltern, die Entwicklung eines innovativen Netzwerkes verändern nicht nur die Arbeit der Einrichtung, sondern auch die Akteure selbst." Das sei spannend und lebensnah, aktiv und herausfordernd.
Die Herausforderung für Benjelloun lag im Erfolg. "Al Kamara" hat seine Wurzeln in einem Eltern-Café, das 2007 eröffnet werden konnte. Zwei Mal in der Woche boten sie und eine andere Frau individuelle Beratungen und Vorträge an. "Die Nachfrage war so riesig", erzählt sie, dass sich Eltern und Kinder an den zwei Tagen in der Woche durch die kleinen Räume quetschen mussten. Das Angebot musste größer werden; Zamira Benjelloun wollte ein Eltern-Kind-Zentrum gründen, das täglich geöffnet hat.
Viel besseren Kontakt zu anderen - und besseres Deutsch
2009 kamen 300 Menschen aus der Nachbarschaft zur Eröffnung des Eltern-Kind-Zentrums "Al Karama". Täglich können die Eltern nun ins Café gehen, frühstücken, sich unterhalten. In der Mütterschule singen sie zusammen mit ihren Kindern auf deutsch, die Kleinen lernen im Kreis zu sitzen, aus einem Wasserglas zu trinken. "So bereiten wir sie auf den Kindergarten vor", sagt Zamira Benjelloun..
"Früher war ich nur in der Wohnung mit meinem Kind, hatte keinen Kontakt mit anderen Leuten", diesen Satz sagt nicht nur eine Mutter. "Vyial, mein drittes Kind, ist viel weiter als ihre Brüder es in ihrem Alter waren", sagt Figen Yildiz. Seit zwei Jahren nutzt sie mit ihrer zweijährigen Tochter Vyial die Angebote im "Al Karama". Vyal gehe jetzt sehr offen auf Menschen zu und spreche wesentlich besser deutsch, als ihre Brüder es in ihrem Alter konnten.
Was haben Anthroposophen und Migranten gemeinsam?
Genau das will Zamira Benjelloun erreichen. Was ihr noch fehlt, ist die Anerkennung als Kinder- und Familienzentrum, damit sie Geld für ihre vielen Angebote von der Stadt bekommt. Möglich ist das für eine "Migrantenorganisation" nur gemeinsam in einem Tandemprojekt mit einer "Institution der Regelversorgung". So empfiehlt es die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Zusammen mit der anthroposophischen Familienbildungsstätte "der hof" in der Frankfurter Nordweststadt bewirbt sich das "Al Karama" deshalb nun darum, als Träger bürgerschaftlichen Engagements anerkannt zu werden.
Gabriele Mankau findet das ganz passend. Mit einem Augenzwinkern sagt sie: "Die Anthroposophen und Migranten haben ja auch was gemeinsam in unserer Gesellschaft": Sie würden beide als Randgruppen wahrgenommen, oft belächelt und nicht richtig ernst genommen.
Lilith Becker ist Absolventin der evangelischen Journalistenschule und arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main, unter anderem für evangelisch.de.