Papstbesuch: Spanien weniger katholisch als je zuvor
Spanien war jahrhundertelang ein Bollwerk des Katholizismus. Das hat sich gründlich geändert. Viele Spanier haben der Kirche den Rücken gekehrt. Jetzt stattet der Papst dem Land einen Kurzbesuch ab und ruft zur "Neuevangelisierung" auf.
03.11.2010
Von Hubert Kahl und Hanns-Jochen Kaffsack

Zwei höchst prägnante Zeugnisse christlicher Kultur und Geschichte hat sich der Papst als Ziele seines zweiten Besuchs in Spanien ausgesucht: Das weltbekannte Gotteshaus Sagrada Familia in Barcelona sowie den gleichfalls von Millionen besuchten Wallfahrtsort Santiago de Compostela. Es wird keine politische, sondern eine pastorale Reise sein, die Benedikt XVI. an diesem Wochenende unternimmt. Ihn treibt ständig der stark nachlassende Glaube in der Alten Welt um - er hat eine "Neuevangelisierung" auf seine Fahnen geschrieben.

Höhepunkt der letzten Auslandsreise des 83 Jahre alten Pontifex im Jahr 2010 ist ein Gottesdienst am Sonntag auf der wohl berühmtesten Baustelle Spaniens: Er will die monumentale Sagrada Familia, an der seit 128 Jahren gebaut wird, weihen und sie zur Basilika erheben. Das Werk des Architekten Antoni Gaudí (1852-1926) gilt als bedeutendster Kirchenneubau der Gegenwart. Es soll erst in etwa 20 Jahren fertiggestellt sein, ist aber schon jetzt eine der größten Touristenattraktionen Spaniens.

Gottesdienst in der Sagrada Familia

Von den 18 Türmen, die die Kirche erhalten soll, stehen erst acht. Aber das zentrale Kirchenschiff und die anderen Innenräume sind nun vollständig überdacht. Der Papst wird dort am Sonntag vor etwa 6.500 Gläubigen eine Messe zelebrieren. Im Freien sollen weitere 36.000 geladene Gäste an dem Gottesdienst teilnehmen. Ob Benedikts Besuch des Unesco-Welterbes den tiefgläubigen Gaudí ein Stück näher an seine Seligsprechung bringt, bleibt jedoch abzuwarten - Benedikt zeigt keine Eile, was neue Heilige betrifft.

Am Vortag wird Joseph Ratzinger zum Auftakt seiner Wochenendvisite aus Anlass des Heiligen Jahres Santiago de Compostela im Nordwesten besuchen. Dieser Ort, ebenfalls Unesco-Weltkulturerbe, entwickelte sich im Mittelalter zum bedeutendsten Wallfahrtsziel der Christenheit neben Rom und Jerusalem. Dort soll sich das Grab des Heiligen Jakob befinden, des spanischen Schutzheiligen. Wenn - wie in diesem Jahr - der Namenstag dieses Apostels am 25. Juli auf einen Sonntag fällt, dann feiern die Christen in Spanien ein Heiliges Jahr.

Ein Pilgerzertifikat braucht er nicht

"Der Besuch des Papstes wird die Pilgerrouten des Jakobswegs in aller Welt bekanntmachen", meint Erzbischof Julián Barrio. Allerdings wird Benedikt dabei nicht das übliche Pilgerzertifikat erhalten. Das gibt es allein für Wallfahrer, die wenigstens 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt haben. "Eine solche Bescheinigung hat der Papst wirklich nicht nötig", betont Barrio.

Seine Reise nach Santiago und Barcelona dürfte eher konfliktfrei sein. Aber bis vor wenigen Jahren noch hatte es zwischen dem Vatikan und Madrid ziemliche Spannungen gegeben. Die sozialistische Regierung von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero hatte aller Proteste der Kirche zum Trotz die Homo-Ehe erlaubt und das Abtreibungsgesetz gelockert. Mittlerweile stehen die Zeichen auf Entspannung. "Die Beziehungen sind hervorragend, und es gibt nichts, was diesen Besuch stören könnte", sagt Spaniens Vatikan-Botschafter Francisco Vázquez.

Mehr standesamtliche als kirchliche Hochzeiten

Benedikts Kirche hat in Spanien ganz andere Probleme. Viele Spanier und vor allem junge Leute haben dem Katholizismus den Rücken gekehrt - nach Umfragen betrachten sich 73 Prozent der Spanier als katholisch, bei den 15- bis 29-Jährigen sind es nur 52 Prozent. Die Gottesdienste sind nur schwach besucht, und 2009 ließen sich erstmals mehr Spanier standesamtlich als kirchlich trauen. "Das Problem gibt es auch in anderen Ländern", sagt Vatikan-Sprecher Federico Lombardi. Dennoch betreibt der Papst die von ihm gewünschte Neuevangelisierung in Spanien persönlich - 2011 kommt er wieder, zum Weltjugendtag in Madrid.

"Das Spanien, das Benedikt XVI. besucht, hat nichts mehr mit der katholischen Bastion zu tun, die das Land jahrhundertelang gewesen war", schrieb die Zeitung "Público" vor dem Besuch. "Noch nie in seiner Geschichte war Spanien so wenig katholisch, wie es das heute ist." Auch Zapatero ist nicht religiös gebunden. Der Regierungschef wird den Papst kurz vor dessen Rückflug treffen, aber nicht bei den Messen dabei sein.

dpa